Koordinierendes Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz

Die Gesundheit der Menschen stellt in Deutschland ein hohes Schutzgut dar. So hat nach Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Durch das Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz (kurz: GesBevS) soll  zu jeder Zeit die bestmögliche gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung gewährleistet werden. Die Herausforderung dabei ist es, die hierfür erforderliche Notfall- und Vorsorgeplanung so auszurichten, dass Versorgungslücken minimiert und durch abgestimmte Verfahren aller beteiligten Akteure die gesundheitliche Versorgung von Betroffenen, aber auch der gesamten Bevölkerung auch in kritischen Situationen sichergestellt wird.

Die Krisen der letzten Jahre wie die SARS CoV-2 Pandemie, die Flutkatastrophe im Juli 2021 und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine haben gezeigt, dass es in Deutschland an einem flächendeckend einheitlichen, strukturierenden und koordinierenden Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz fehlt.

Forum Interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz

Die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (kurz: BABZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (kurz: BBK) veranstaltet seit vielen Jahren das „Forum Interdisziplinäre Zusammenarbeit im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz“. Dieses ist eine Netzwerkveranstaltung, in deren Rahmen die Akteure im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz gemeinsam konstruktiv Themenfelder identifizieren und Lösungen dafür vorantreiben.

Im Jahr 2021 haben sich die Kooperationspartner Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, die Charité - Universitätsmedizin Berlin und die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf (kurz: AÖGW) als Vertreter von drei Kernbereichen des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes entschieden, das Forum erstmals gemeinsam auszurichten. Als erstes wichtiges Schwerpunktthema wurde aufgrund der aktuellen Herausforderungen das koordinierende Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz gewählt.

Im Verlauf dieses Forums stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fest, dass die „neue Normalität“ durch die Häufung schwerwiegender Ereignisse in den vergangenen Jahren einen erheblichen Bedarf an Vernetzung der verschiedenen Akteure zur Steigerung der Resilienz des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes aufgezeigt hat. Dazu ist die Einrichtung einer ebenenübergreifenden, koordinierenden Funktion über alle Bereiche des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes sinnvoll und erforderlich.

Koordinierte Zusammenarbeit im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz

Im Rahmen einer systemischen Weiterentwicklung des Risiko- und Krisenmanagements im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz müssen zukünftig alle relevanten Akteure zur Aufrechterhaltung und Sicherstellung der Gesundheitsversorgung beteiligt und eng eingebunden werden.

Für die Gestaltung der Zusammenarbeit, auch über die Grenzen der jeweils eigenen Zuständigkeiten der einzelnen Akteure sowie von Gebietskörperschaften und fachlichen Branchen hinaus, müssen einheitliche oder zumindest vergleichbare Verfahren und Strukturen entwickelt werden, um Entscheidungen des überregionalen Risiko- und Krisenmanagements im Einklang miteinander kommunizieren und umsetzen zu können.

Die Einführung der Funktion „Koordinator / Koordinatorin Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz“ wird hier als eine mögliche Lösung vorgeschlagen.

Eine Infografik über die Kernprozesse des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes. Quelle: BBK
Abbildung 1: Wagenrad der Akteure im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz

Auf der linken Seite der Abbildung (sogenanntes Wagenrad) sind die Kernprozesse des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes dargestellt und den jeweiligen identifizierten Hauptakteuren zugeordnet:

  • Öffentlicher Gesundheitsdienst
  • Präklinische Versorgung
  • Klinische Versorgung
  • Ambulante Versorgung

Im unteren Bereich sind die Unterstützungsprozesse aufgeführt, die für die vorgenannten Kernprozesse bedeutend sind, beispielsweise die ambulante und stationäre Pflege, Apotheken und Labore. Die Darstellung der Akteure ist nicht abschließend.

Das Zusammenwirken der einzelnen Akteure findet zumeist auf regionaler Ebene statt. Um ihre Zusammenarbeit im Risiko- und Krisenmanagement zu gewährleisten, bedarf es einer guten Vorbereitung sowie gegebenenfalls einer ebenenübergreifenden Steuerung im Ereignisfall.

Das Rechteck in der Mitte des Wagenrades greift die Idee auf, durch eine neu einzuführende Funktion das Risiko- und Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz zu harmonisieren, zu koordinieren und wo nötig zu organisieren. Dazu ist es notwendig, die Netzwerkbildung untereinander zu vereinfachen und so notwendige Synergien im Risiko- und Krisenmanagement zu erschließen.

Das Dreieck auf der rechten Seite der Abbildung stellt das Verhältnis der Aufwände eines „Kernprozesseigners“ dar, die er zur Steuerung aller Abläufe benötigt. Dabei enthält der Regelbetrieb (orange) auch die Bewältigung alltäglicher Störungen.

Anhand des hellblauen Keils an der Spitze des Dreiecks ist dargestellt, dass es durchaus Situationen geben kann, in denen die Aufbau- und Ablauforganisation des Regelbetriebes nicht mehr zur Kompensation ausreicht. Dann ist ein Notfall- und Krisenmanagement erforderlich.

Im Krisenmanagement-Zyklus ist beschrieben, wie im Risiko- und Krisenmanagement gehandelt wird. Prävention und Vorbereitung passieren vor der Krise, danach Bewältigung und Wiederaufbau bzw. Evaluation, welche dann wieder in Prävention aufgehen. Quelle: BBK
Abbildung 2: Der Risiko- und Krisenmanagementzyklus

Die Aufgaben im Notfall- und Krisenmanagement sowohl der einzelnen Akteure als auch des Koordinators / der Koordinatorin basieren auf dem Risiko- und Krisenmanagementzyklus. Dieser besteht aus Prävention, Vorbereitung, Bewältigung und Nachbereitung. Die einzelnen Phasen des Risiko- und Krisenmanagements gehen dabei fließend ineinander über und bauen aufeinander auf. So bildet das Risikomanagement die Grundlage für die Vorbereitungen und Durchführung des Krisenmanagements – die Erkenntnisse aus der Nachbereitung bilden wiederum neue Grundlagen für das Risikomanagement.

Alle Prozesseigner betreiben ihre internen Risiko- und Krisenmanagementprozesse eigenverantwortlich.

Definition Risiko- und Krisenmanagement

Definition Risikomanagement (DIN SPEC 91390)

Kontinuierlich ablaufendes, systematisches Verfahren zum zielgerichteten Umgang mit Risiken, das die Analyse und Bewertung von Risiken sowie die Planung und Umsetzung von Maßnahmen insbesondere zur Risikovermeidung/-minimierung und -akzeptanz beinhaltet.

Definition Krisenmanagement (nach DIN EN ISO 22361)

Maßnahmen zur Vorbereitung auf Erkennung und Bewältigung, Vermeidung weiterer Eskalation sowie Nachbereitung von Krisen. Dies sind damit auch koordinierte Maßnahmen zur Führung, Lenkung und Steuerung einer Organisation im Hinblick auf Krisen.

Das Krisenmanagement beinhaltet die Schaffung von konzeptionellen, organisatorischen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen, um eine schnellstmögliche Zurückführung der eingetretenen außergewöhnlichen Situation in den Normalzustand zu unterstützen oder eine Eskalation zu vermeiden.

Das Krisenmanagement ist im Idealfall mit dem Risikomanagement verzahnt.

Anforderungen zur Implementierung einer Funktion Koordinator/Koordinatorin Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz

Um in lokalen und regionalen Krisenszenarien zielführend wirken zu können, sollte die Funktion des koordinierenden Krisenmanagements bei den für die Bewältigung der Krise zuständigen behördlichen Strukturen verankert sein. Anzusiedeln wäre diese Funktion damit grundsätzlich auf der Ebene der Kreise beziehungsweise kreisfreien Städte, zum Beispiel als Stabsstelle unmittelbar beim Hauptverwaltungsbeamten. Allerdings muss sich die Funktion auch in den übergeordneten Ebenen (Bezirks-, Landes-, Bundesebene) wiederfinden.

Um die Anforderungen und Bedarfe aus dem Krisenmanagement des Gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes wirksam geltend zu machen, muss es im übergeordneten Krisenmanagement eingebunden werden. Dafür muss sowohl den politisch Entscheidenden und Verwaltungen als auch den BOS die Notwendigkeit eines koordinierenden Krisenmanagements im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz bewusst gemacht werden.

Um ein umfassendes, koordinierendes Krisenmanagement im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz bundesweit einheitlich aufzubauen, ist die Schaffung verbindlicher rechtlicher Rahmenbedingungen erforderlich.

Ausblick

Die aufgezeigten Bedarfe und Herausforderungen erfordern auch weiterhin eine interdisziplinäre Weiterentwicklung der Koordination im gesundheitlichen Risiko- und Krisenmanagement mit öffentlichem Dialog und politischer Auseinandersetzung. Die Etablierung einer Funktion „Koordinator/Koordinatorin Gesundheitlicher Bevölkerungsschutz“ ist dabei zunächst lediglich als Vorschlag an die zuständigen Akteure zu verstehen, der eine weitere Ausarbeitung und Diskussion voraussetzt. Die Notwendigkeit an entsprechender Krisenkoordinierung der Akteure im Gesundheitlichen Bevölkerungsschutz zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung steht jedoch außer Frage.

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Weitere Informationen: Intergriertes Risikomanagement