Interview mit Michael Willms

Michael Wilms begleitet die Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung/Exercise (kurz: LÜKEX) seit der ersten Übung für das Land Baden-Württemberg in verschiedenen Funktionen. Die Teilnahme an der ersten LÜKEX 2004 war auch eine seiner ersten Aufgaben seiner Dienstzeit im Referat Krisenmanagement, das er heute leitet. An acht von neun Übungen hat er mit seinem Land teilgenommen, nur in der LÜKEX 15 mit dem Szenario „Sturmflut an der Küste“ hat Baden-Württemberg nicht teilgenommen.

#ichbesitzealleLÜKEXTassen

In welcher Rolle oder Position haben Sie damals an der ersten Übung teilgenommen?

Ich war damals an der Landesfeuerwehrschule Leiter der Abteilung für „Katastrophenschutz und Vorbeugender Brandschutz“. Bei der LÜKEX 2004 durfte ich in dieser Funktion die Position des stellvertretenden Übungsleiters übernehmen. Der Kollege aus dem Innenministerium hat die Übungsleitung innegehabt und ich habe von der Schule aus unterstützt.

Mich interessieren Ihre persönlichen Eindrücke. Wie war das damals? Wie hat sich das angefühlt?

Es war eine unwahrscheinlich spannende Aufgabe, gerade für mich als junger Brandassessor. Ich glaube, das war nicht nur für uns so, sondern die Übung war für alle Beteiligten Neuland. Der eine oder andere kannte noch die Winter Exercise Übungen (kurz: WINTEX). Das Wissen war aus der „alten Zeit“ übriggeblieben, aus Zeiten des Kalten Krieges. Ich kann mich noch gut an die ersten Gespräche, mit Wolfgang Grambs bei uns an der Landesfeuerwehrschule erinnern. In dem ersten Gespräch mit meinem Schulleiter damals, Hermann Schröder und mir hat er uns die ersten Ideen dieser Übung mit ganz viel Überzeugungskraft präsentiert. Wir hatten erstmal viele Fragezeichen im Kopf. Wie soll das überhaupt funktionieren? Klappt das überhaupt? Aber es passte in die Zeit der Neuausrichtung im Bevölkerungsschutz. Wir hatten 2001 die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika (kurz: USA) und 2002 das Elbe-Hochwasser, weswegen sich Bund und Länder aufgemacht haben, um mit der “Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung“ gemeinsam neue Grundlagen zu schaffen. Bei den ersten Gesprächen war es schwer vorstellbar, dass so ein Vorhaben wie die LÜKEX klappen kann, weil es lange Jahre keine so groß angelegten Übungen gab. Also nicht nur Konzepte schreiben, sondern auch wieder Üben im großen Stil. Hochspannend. Und deswegen war das für mich eine riesengroße Aufgabe, an der ich auch riesengroßen Spaß hatte. Besser hätte mein beruflicher Einstieg gar nicht sein können. Die Idee der LÜKEX hat uns einfach begeistert. Das hat auch viel mit der Person Wolfgang Grambs zu tun gehabt. Er war einfach sehr überzeugend und auf eine positive Weise sehr unnachgiebig mit seiner Idee und hat auch nicht lockergelassen.

Gab es damals auch Schwierigkeiten, also gerade von Ihrer Seite aus Sicht des Landes?

Also bei uns im Innenressort gar nicht. Wir waren im Kontext der „Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung“ in vielen Arbeitsgruppen auch auf Bundesebene beteiligt. Von daher war sozusagen bei uns der Weg schon ein Stück weit bereitet. Die Innenschiene ist immer „begeisterungsfähig“ und lässt sich gut überzeugen, hier beschäftigt man sich immer mit Krisen. Der Aufwand war überschaubar und lohnenswert, weil wir von der Idee begeistert waren und sofort mit großem Schwung mit eingestiegen sind.

Gab es einen Aspekt, der Sie besonders beeindruckt hat?

Besonders beeindruckt hat mich tatsächlich, wie man es in der vorhin schon geschilderten Gemengelage geschafft hat, in absolut kurzer Zeit so eine gewaltige Übung auf die Füße zu stellen, so viele Beteiligte an einen Tisch zu bringen und davon zu überzeugen, dass das eine gute und richtige Sache ist. Wenn die Vorbereitung und Durchführung der ersten Übung nicht gut gelaufen wären, dann hätte keiner mehr darüber reden wollen. Wir waren also quasi zum Erfolg verpflichtet und sehr angespannt. Aber es war ja tatsächlich ein absolut gelungener Start mit der ersten LÜKEX.

Gibt es etwas, was Sie persönlich gelernt haben aus den Anfängen der LÜKEX?

Wenn man eine gute Idee hat, dann lohnt es sich, dafür zu kämpfen und Energie reinzustecken und Überzeugung zu leisten.

Und: Krisenmanagement ist Teamarbeit. Es braucht ein gutes Netzwerk, auf das man sich verlassen kann. Und das zieht sich bis heute durch. Es gibt noch den einen oder anderen, den kenne ich noch aus der LÜKEX Anfangszeit, das ist einfach hilfreich im Krisenmanagement. Was sich auch so ein bisschen durchzieht ist, wenn man ein gutes Team hat, dann lässt sich jede große Aufgabe bewältigen. Und was für mich besonders beeindruckend war, ist die Vielzahl der unterschiedlichen Menschen, die ich kennenlernen durfte. Das hat mich wirklich beeindruckt und macht für mich den Reiz der LÜKEX bis heute aus. Über den eigenen Tellerrand hinausblicken, mal wirklich andere Aspekte und andere Menschen kennenzulernen, ein Netzwerk aufbauen zu können. Das ist ein ganz, ganz wesentlicher Aspekt von LÜKEX insgesamt.

Was hat die LÜKEX speziell in Baden-Württemberg angestoßen?

Die Erkenntnis: Übung ist wichtig. Und das nicht nur im kleinen Kreis. Übungen hat es auch vorher schon gegeben. Aber dass man in einem großen Stil üben muss, Bund-Länder-übergreifend, das war ganz wesentlich. Und man sieht ja an unserer Übungsbeteiligung, uns hat die LÜKEX vom ersten Tag angepackt. Wir haben gesehen, das ist die Gelegenheit, groß und gut miteinander zu üben. Und es ist ein Setting, das sich bislang einfach für uns rechnet.

Welcher rote Faden zieht sich aus Ihrer Sicht aus durch 20 Jahre LÜKEX?

Das ist tatsächlich das was, was die alten „LÜKEXianer“ wie ein Mantra vor sich hertragen: Der Weg ist großer Teil des Ziels. Also nicht, „wir fokussieren das auf zwei Tage Übungsdurchführung“, sondern die Übungsvorbereitung ist ein ganz wesentlicher Übungseffekt. Das ist für mich absolut zentral, auf der einen Seite natürlich die ganzen Dinge, die man zur Übungsvorbereitung im Kern braucht. Aber auf der anderen Seite auch, dass man mal die Chance hat, links und rechts zu schauen, ein Blick über den Tellerrand. Durch die Übungsvorbereitung entwickelt sich ein Verständnis für Arbeitsweisen, Zuständigkeiten, Aufgaben, Rollen und Denken anderer Fachbereiche.

Wie hat die LÜKEX aus Ihrer Sicht dazu beigetragen, dass vergangene Krisen besser bewältigt werden konnten?

LÜKEX gibt den Beteiligten die Chance, in unterschiedliche Fachbereiche reinzugehen und sich einen groben Überblick zu verschaffen. Niemand wird Experte für Pandemiebewältigung durch die LÜKEX oder Expertin für Gasversorgung, wenn das nicht das Tagesgeschäft ist. Aber zum Beispiel die LÜKEX 18 mit dem Szenario Gasmangellage hat gezeigt, wie wertvoll das ist, zumindest die Sprache der Expertinnen und Experten der Branche zu verstehen. Als das Szenario in den Anfängen im Winter 2022 sozusagen Realität geworden ist, da konnten wir einfacher verstehen: Welches Regularium gibt es? Was ist der Notfallplan Gas? Was ist eine Notfallstufe? Was hängt damit zusammen? Was passiert jetzt? Welche Vorgaben gibt es? Wie funktioniert überhaupt Gasversorgung und was hängt eigentlich von dieser Gasversorgung ab? Was passiert, wenn das Gas ausfällt? Da hat man durch die LÜKEX schon die Chance gehabt, sich ein Stück weit reinzudenken, auch wenn es in der Reallage in der Regel anders kommt, als man es übt. Wenn man schon mal so ein Grundverständnis entwickelt hat, das ist ganz zentral und sorgt dann eben immer dafür, dass man sich für die nächsten Krisen besser aufstellt.

Und klar, neben der Fachlichkeit hilft jede Übung, eigene Strukturen auf den Prüfstand zu stellen, zu schauen wo es klemmt, wo man Strukturen und Verfahren optimieren kann. Wir sind in Baden-Württemberg auf einem hohen Niveau unterwegs und trotzdem ist nichts so gut, als dass man es nicht noch besser machen kann. Und dafür braucht es Übung. Es kommen ständig neue Aspekte hinzu. Wer hätte sich vor der Pandemie vorstellen können, dass man Stabsarbeit auch virtuell machen kann? Ich war ein absoluter Gegner davon, ich hätte nie geglaubt, dass das funktioniert. Jetzt bin ich großer Verfechter davon. Und das sind Dinge, die können wir in Übungen einfach mal in einem geschützten Raum ausprobieren, das kann nur gut sein.

Gibt es etwas von damals, das aus heutiger Sicht irgendwie skurril wirkt? Oder wie aus einer anderen Welt?

Ja, das hängt aber ein bisschen mit Computern zusammen. Wir hatten damals kein Vertrauen zu der Steuerungssoftware. Deswegen haben wir alles, was es nur irgendwie gab, ausgedruckt, also bis hin zum gesamten Drehbuch, das wir auf meterlangen Plantafeln verteilt in unserem unserer Übungssteuerung aufgehängt hatten. Alles haben wir mehrfach ausgedruckt, damit man zur Not auch von Hand hätte spielen können. Und da kann ich mich gut erinnern, wie ich mit meinem Kollegen vor dieser Wand stand und wir geschaut haben, wie der Übungsverlauf ist. Am Ende des Tages hat die Software gut funktioniert. Wir haben den Papierausdruck nicht gebraucht, aber das war halt damals so.

Was waren witzige Aspekte oder vielleicht sogar Pannen in der Übungsdurchführung?

Große Pannen gab es nach meiner Erinnerung nicht, auch nach längerem Überlegen sind mir keine eingefallen. Allerdings war die Anspannung bei allen Beteiligten bei so einer Premiere natürlich hoch. Aber im Nachhinein völlig unbegründet: Die Übung lief wie geplant ab.

Was sich als witziger Aspekt durchzieht, das ist schon damals entstanden. Es gab immer gute Verpflegung und zu dem Kaffee auch Kekse, die berühmten LÜKekse. Das ist bei uns bei jeder LÜKEX der „Running Gag“. Also neben den Tassen sind die Kekse ganz wichtig. Vielleicht wäre das mal was, was man auch mal in Angriff nehmen könnte für zukünftige Übungen, einen „LÜKeks“ zur Tasse.

Zu sehen sind sechs Kaffeetassen von den vergangenen LÜKEX Übungen. Im Hintergrund ist außerdem eine Kladde mit der Aufschrift "LÜKEX 2018 Szenariozusammenfassung" zu sehen. Quelle: BBK
LÜKEX Tassen der Jahre 2004 bis 2018 von Michael Willms

Was macht denn die LÜKEX aus Ihrer Sicht besonders?

Der zentrale Aspekt ist für mich, dass die LÜKEX eine gemeinsam getragene Übung von Bund und Ländern ist! Wir haben ein gemeinsames Verständnis: Wir wollen und müssen zusammen üben und das wird von beiden Seiten getragen. Das ist für mich absolut zentral.

Was wünschen Sie der LÜKEX für die nächsten 20 Jahre?

Das sie auf der einen Seite immer den Spirit behält, neue Themenfelder aufzumachen, immer spannende fachliche Aspekte oder fachliche Übungsszenarien zu finden.

Und auf der anderen Seite, dass sich die Übungsorganisation immer wieder hinterfragt, ob das, was man tut, das Richtige ist. In den letzten 20 Jahren ist die Bürokratie, also der Verwaltungsaufwand immer größer geworden, deswegen ist es auch angebracht und richtig, dass jetzt der Prozess läuft, das System der LÜKEX zu modernisieren und zu verschlanken. Wenn LÜKEX auch die nächsten 20 Jahre gut funktionieren soll, dann müssen wir einen Weg finden, wie die übenden Institutionen das vom Aufwand in der Vorbereitung überhaupt schon schaffen können. Je aufwändiger die Vorbereitung wird, desto schwieriger wird es, die Leute und die anderen Ressorts davon zu überzeugen, dass sie das irgendwie noch nebenher leisten können. Also gar nicht mal, weil sie es nicht wollen, sondern weil es einfach schlichtweg feststellen es geht gar nicht. Eine bessere Plattform zum gemeinsamen Üben und Netzwerken von Bund und Ländern als die LÜKEX werden wir nie kriegen. Wenn da immer noch neue Ressorts dazu kommen und die Übung immer größer wird, dann wird es natürlich entsprechend herausfordernd, das irgendwie noch zu koordinieren. Auf der anderen Seite ist das natürlich gerade der Charme der LÜKEX, dieses Setting in einer Situation zu üben, in der viele real mit üben und du nicht in der Übungssteuerung alle möglichen Institutionen simulieren musst.

Was erwarten Sie denn von der LÜKEX, damit sie auch in 20 Jahren noch relevant ist?

Neue oder aktuelle Entwicklungen und Gefahren müssen in den Blick genommen werden und zum Thema der LÜKEX gemacht werden. Die vergangenen LÜKEX Übungen waren immer relativ dicht am Puls der Zeit. Manchmal vielleicht ein bisschen zu dicht, im Nachhinein betrachtet also positiv. Das zeigt, wie realitätsnah LÜKEX ist. Das ist in meinen Augen wichtig, dass immer relevante aktuelle Themen aufgegriffen werden, so dass man spätestens ein paar Jahre später feststellt: „Gut, dass wir das geübt haben!“

Eine dieser Entwicklungen die die LÜKEX im Blick haben muss ist die Krisenkommunikation. Diese ist für uns immer zwingend ein Bestandteil von gutem Krisenmanagement, völlig egal bei welchem fachlichen Szenario und muss daher in jeder LÜKEX betrachtet und in einem möglichst realistischen Umfeld geübt werden.

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