Interview mit Beate Coellen
In welcher Rolle haben Sie an der ersten LÜKEX teilgenommen?
Ich war grade wieder frisch zurück an meiner ehemaligen Dienststelle, hatte aber eine andere Aufgabe, nämlich u.a.die Vorbereitung der Weltmeisterschaft (kurz: WM) 2006. In der LÜKEX 2004 durfte ich als Beobachterin zum Stab des Landes Berlin, und habe dann beobachtet, wie die sich aufgestellt haben, wie sie die Dinge angegangen sind. Ich war damals recht positiv überrascht, wie gut das schon für ein erstes Mal lief. Es gab natürlich Optimierungsbedarf im technischen oder organisatorischen Ablauf. Während der Übung merkte ich dann schon eine gewisse Skepsis, nach dem Motto „Da kommt der Bund und guckt uns zu, was wir machen“. Das war für mich nicht ganz einfach. Aber da mich aus meiner vorherigen Position aus meiner brandenburgischen Zeit fast alle kannten, wusste man „Die tut uns nix!“.
Mich interessieren Ihre persönlichen Eindrücke von damals. Wie war das, so eine ganz neue Übung?
Spannend war das insofern, weil ich durch meine eigentliche Aufgabe, die Vorbereitung auf die WM 2006 wusste, spätestens dann müssen wir viele Dinge auf die Beine gestellt haben, unter anderem die Stabsarbeit muss gut laufen und wenn was passiert, dann müssen alle wissen, was sie zu tun haben. Deswegen habe ich das natürlich unter einem etwas anderen Aspekt gesehen.
Also erstens mal war es erfreulich, dass wir es endlich geschafft hatten, ein paar Länder zu bewegen, überhaupt teilzunehmen. Zum Zweiten war mir natürlich bewusst, dass Berlin mit dem Olympiastadion ein Dreh- und Angelpunkt der WM sein wird, also guckt man da vielleicht besonders hin. Wie machen die das und was tun die? Was kann ich denen noch an die Hand geben? Ich war ja sozusagen für die Akademie „Lehrkraft“ also Fachbereichsleiterin, nationales und internationales Krisenmanagement. Es war spannend zu sehen, wie andere Leute außerhalb einer Akademie Dinge angehen und wer da so alles mitspielt, wer den Hut aufhat und wer mit Begeisterung dabei ist oder auch sagt „Hoffentlich gehen diese Tage bald vorbei“.
Und ich muss ehrlich sagen, die erste LÜKEX war bestimmt eine Herausforderung für alle Beteiligten, weil der Aufwand, der betrieben wurde, das waren die alle gar nicht gewöhnt. Dann dieses doch enge Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern, was in dieser Form ja eigentlich nach der Wende so nie gelaufen war. Und wie gesagt, für mich noch wichtiger: funktionieren die alle im Hinblick auf Lage 2006, die ja unweigerlich auf uns zukommt. Insofern war das eine spannende Sache.
Welcher Aspekt hat Sie damals am meisten beeindruckt?
Die Bereitschaft, dass die Länder kooperieren wollten mit dem Bund hat mich fasziniert in Vorbereitung auf die WM. Das hat gezeigt: Es geht auch anders. Wir können sehr gut Freund sein, weil wir doch im Grunde immer am gleichen Strang ziehen. Wir wollen doch, dass die Bevölkerung geschützt wird, dass wir sie unterstützen, dass wir es alles richtig machen im Falle eines Falles. Und dieses ewige „Wir gegen die anderen“, „Länder gegen Bund“ war nicht mehr spürbar, sondern der gemeinsame Gedanke, dass wir im Grunde eine große, wichtige Aufgabe haben, das war das Wichtigste für mich. Und das war 2004 noch nicht sehr ausgeprägt. Ich glaube, erst danach ist allen bewusst geworden, dass es eigentlich nur so geht.
Was haben Sie persönlich mitgenommen aus dieser Anfangszeit der LÜKEX?
Dass man in dem Bestreben nicht nachlassen darf, immer wieder alle zusammenzubringen. Ich war mir nicht so sicher, ob wir es schaffen, alle zwei Jahre eine LÜKEX zu stemmen. Der Aufwand dafür war riesig. Und es heißt immer „Nach der LÜKEX ist vor der LÜKEX“, das heißt, die eine wird abgewickelt, die andere schon aufgerollt. Und wenn man so eng mit Personal ist wie die meisten Länder, aber im Grunde der Bund auch, dann ist das ein Kraftakt. Und ich fand aber es ist es wert. Die LÜKEX 2005 war ja dann schon das ganz richtige Trimmen auf die WM 2006, da haben alle schnell gemerkt, so eine WM hat besondere Herausforderungen. Die Terrorlage damals war zwar nicht ganz so akut wie heute, aber sie war auch schon intensiv. Da fand ich es toll, dass wir dann noch mal eine LÜKEX 2005 schnell „dazwischengeschoben“ haben. Obwohl ich glaube, viele Beteiligte haben die innere Krise gekriegt, so schnell wieder hinterher schon die nächste LÜKEX.
Wie viele Übungen haben Sie insgesamt mitgemacht?
Bis 2006, danach bin ich ins Präsidialbüro gewandert und habe dort angefangen, die Gästebetreuung zu begleiten, sozusagen das Protokoll-Netzwerk drumherum aufzubauen. Ab da bin ich an der Planung der Übung selber nicht mehr so nah dran gewesen. Die Gästebetreuung, oder das Begleitprogramm wie es später hieß war uns immer sehr wichtig. Ein Programm extra für diejenigen, die als „politische“ Gäste kommen, auch international. Wir wollten die LÜKEX erklären, was tun wir da und warum ist es so spannend und wichtig, einen Einblick geben in die Übung ohne die Übung selber zu stören.
Was war die wichtigste Erkenntnis aus den ersten Übungen, die bei Ihnen hängengeblieben ist?
Das doch relativ gute erste Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern, also eigentlich umgekehrt zwischen Ländern und Bund, auch wenn der Bund die Übung organisiert hat. Im Grunde, wenn die Länder nicht bereit sind, auf die Angebote einzugehen, dann kann sich der Bund abstrampeln, wie er will. Ich fand es überraschend, dass da doch verstanden wurde, dass die vom Bund geleitete Übung keine schlechte Sache ist, sondern die Übung und die Erkenntnisse wichtig und richtig sind. Sowohl in der Vorbereitung als auch in der Nachbereitung.
Und als ich dann nachher in das Gästeprogramm gewechselt bin, habe ich ja sozusagen einen ganz anderen Bereich und Blickwinkel gehabt. Und da fand ich es wirklich schön zu sehen, dass sich innerhalb des BBK so schnell eine tolle, feste Gruppe zusammengefunden hat, wo der eine für den anderen auch mal einspringt. Das fand ich spannend, Menschen sozusagen für eine Aufgabe, die außerhalb ihrer eigentlichen Aufgaben liegt, zu gewinnen und sie mit der LÜKEX irgendwie zusammenzubringen. Also ich glaube das war, um den Zusammenhalt noch mal für alle zu bringen, ganz gut. Und so gibt es eine ganze Menge Menschen, mit denen ich wahnsinnig gern über die Jahre zusammengearbeitet habe, egal wo sie her kamen.
Welcher rote Faden zieht sich aus Ihrer Sicht durch 20 Jahre LÜKEX?
Leider ist es ist ein roter Faden, dass zwischen den Übungen immer ein gewisser Bruch besteht. Für die einzelnen Übungen wird so viel geplant und vorbereitet, aber mit den Ergebnissen wird nachhaltig zu wenig gemacht. Das Schlimme für mich, ich stelle heute im Rückblick ganz oft fest, dass es nicht hilft, Abschlussberichte ins Regal zu stellen. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe ich gedacht, ich fasse es nicht. Wenn man nochmal in die Berichte geguckt hätte, hätte man viele Dinge im Vorhinein noch mal schnell aufbereiten und nachsteuern können, anstatt offenen Auges in diese Pandemie reinzuschlittern. Oder bei der Flut im Ahrtal, ich habe jahrelang Verwaltungsstäbe an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz ausgebildet. Wo bitte sind denn bei all den großen Ereignissen die Verwaltungsstäbe? Was ist da passiert? Und ist zu erkennen, es braucht einen Kümmerer. Immer wieder jemanden, der die ganze Hand in die Wunde legt. Also insofern wichtigste Erkenntnis ist: Gut, dass wir üben.
Welche Bedeutung messen Sie in diesem Gesamtprozess der Auswertung der Übung zu?
Enorme Bedeutung! Durch die Auswertung haben die Übenden einen Außenblick auf die Sache, es gucken andere Leute noch mal, wie ist das gelaufen? Und, dass man das dann nachher mal verbalisiert. Aber wie gesagt, es braucht Menschen, die das wirklich verfolgen, es müsste jemanden geben, der mit dem Abschlussbericht wie mit einer Checkliste alle Erkenntnisse durchgeht und schaut, ob in seinem Land, in seinem Zuständigkeitsbereich die Dinge geregelt sind. Und für die übergreifenden Aspekte bräuchte es eigentlich in jedem Land LÜKEX-Beauftragte, die sich die Punkte nehmen und versuchen, im übergreifenden System zu eruieren, wer ist eigentlich zuständig und kann die Defizite abbauen.
Was macht die LÜKEX als Gesamtsystem aus Ihrer Sicht besonders?
Die Größenordnung, schon alleine die lange Vorbereitungszeit, finde ich erstaunlich. Aus der WM weiß ich ja, was es bedeutet, eine Übung vorzubereiten.
Was wünschen Sie der LÜKEX für die nächsten 20 Jahre?
Ich wünsche mir mehr Nachhaltigkeit. Dass das, was durch die LÜKEX festgestellt wird, dann wirklich mal ernsthaft umgesetzt wird.
Und ich wünsche der LÜKEX, dass sie die nächsten 20 Jahre schöne Themen hat, aber das „schön“ muss man wirklich in Anführungsstrichen sagen.
Was erwarten Sie von der LÜKEX, damit sie auch in 20 Jahren noch relevant ist?
Immer das spannende und aktuelle Thema. Wir haben schon mehrere LÜKEXen geübt mit Themen, die dann ein paar Jahre später wirklich wahr wurden. Ich glaube, es gibt unendlich viele Themen, denen man sich widmen muss. Wenn ich jetzt sehe, die Bundeswehr wird auf einen neuen Stand gebracht. Ich bedaure außerordentlich, dass niemand verstanden hat, dass die zivile Verteidigung den gleichen Stellenwert hat, wenn sie auch vielleicht nicht ganz so viel finanzielle Ausstattung wie die militärische Seite. Aber wir werden auch in diesen Bereich in den nächsten Jahren viel Geld in die Hand nehmen müssen.