Interview mit Christoph Unger
In welcher Rolle haben Sie damals an der Übung teilgenommen?
Ich war nie als Übungsteilnehmer dabei, sondern als Präsident des BBK verantwortlich für Vorbereitung, Durchführung, Auswertung der Übung.
Wie viele Übungen haben Sie begleitet?
(zählt die aufgereihten LÜKEX-Tassen vor sich) An acht Übungen, wobei von diesen nicht alle stattgefunden haben. Also acht Übungen, die wir in meiner 16-jährigen Dienstzeit als Präsident angefangen, durchgeführt oder eben auch nicht durchgeführt und ausgewertet haben.
Die Idee LÜKEX ist älter als das BBK selbst, die „Erfinder“ der LÜKEX kamen damals auf die AKNZ zu. Was haben Sie damals gedacht, als Sie das erste Mal davon gehört haben?
Ich habe im November 2004 meinen Dienst als Präsident des BBK aufgenommen und das erste große Projekt, mit dem ich konfrontiert worden bin, war die LÜKEX, die wenige Tage später beginnen sollte. Für mich war das natürlich alles Neuland. Allerdings habe ich mehrere Jahre Dienstzeit als Soldat hinter mir, daher kenne ich das Thema Übung. Als junger Verwaltungsrichter in der Kinderlandverschickung beim Landkreis Helmstedt habe ich die letzte Winter Exercise Übung (kurz: WINTEX) 1989 mitgemacht. Insofern waren mir strategische Übungen durchaus bekannt, ich konnte damit umgehen und hielt das für ausgesprochen wichtig. Die letzte WINTEX ging bis auf die Kreisebene, ausgehend von der North Atlantic Treaty Organization (kurz: NATO) oder der nationalen Ebene. Das waren schon intensive Erfahrungen. Ich fand und finde Übungen nach wie vor gut und sehr wichtig.
Mich interessieren Ihre persönlichen Eindrücke von damals. Wie war das? Wie hat sich das angefühlt, als es dann wirklich losging?
Ich bin da ins kalte Wasser gesprungen und war plötzlich verantwortlich für diese Übung. Ich wusste aber, dass ich mich auf die damaligen Kollegen verlassen kann, die mit viel Erfahrung aus dem Militär, aus der Polizei, von der Akademie diese Übung vorbereitet hatten. Insofern habe ich das letztlich zur Kenntnis genommen, habe aber auch da schon die ersten, sagen wir mal „Nickligkeiten“ wahrgenommen, die es gab zwischen Bund und Ländern. Es war nicht ganz einfach, Übungsteilnehmer zu bekommen und nicht selbstverständlich, diese Übung durchzuführen. Das ist bei mir haften geblieben.
Welcher Aspekt hat Sie damals am meisten beeindruckt?
Die Professionalität der Kollegen, die das für uns im damals sehr neuen Amt vorbereitet haben und dann aus unserer Sicht einen guten ersten Aufschlag der LÜKEX-Reihe gemacht haben.
Was war eine wichtige Erkenntnis aus den ersten LÜKEX-Übungen?
Für mich als überzeugter Übungswilliger nichts Neues aber dennoch wichtig war die Erkenntnis, dass wir auf dieser Ebene regelmäßig üben müssen. Intensiver als wir das vielleicht dann auch getan haben, aber dass es eben in unserem komplexen System föderal, aber eben ressortübergreifend unter Beteiligung von Fachlichkeit zwingend ist, regelmäßig intensiv zu üben.
Was hat die LÜKEX damals in Ihrer Organisation, dem BBK, angestoßen?
Wir haben gemerkt, dass wir auch innerhalb des BBK noch besser zusammenarbeiten müssen. Ausgangspunkt war die Koordination der LÜKEX an der Akademie, die eine eigene lange Geschichte hat. Dann kam dieses neue Amt mit neuen Aufgaben dazu, mit vielen verschiedenen Fachlichkeiten. Diese im Haus zu vernetzen, das war für uns eine Herausforderung, natürlich in dieser gänzlich neuen Behörde mit dieser neuen Aufgabe und dem gesetzlichen Auftrag. Da musste die Behörde erst mal zusammenwachsen.
Welcher rote Faden zieht sich aus Ihrer Sicht durch 20 Jahre LÜKEX?
Dass wir eigentlich immer die Zeichen der Zeit erkannt hatten mit den Szenarien, die wir entwickelt haben. Die haben wir uns nicht ausgedacht, sondern die sind immer mit vielen Beteiligten abgestimmt worden. Es zeigt sich in der Rückschau, dass die Szenarien, die wir ausgewählt haben, tatsächlich sehr realitätsnah waren und deshalb von großer Bedeutung. Nach meiner Auffassung ist das der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass wir auf der Fachebene durchaus immer gut zusammengearbeitet haben. Gute Erkenntnisse aber, und das ist der dritte Punkt, dass eigentlich die Politik diesen Übungen, den Übungsergebnissen vielleicht nicht die Wertschätzung entgegengebracht hat, die notwendig gewesen wäre. Das hat man insbesondere an den tatsächlichen Krisen in der Folgezeit gesehen, wo viele Erfahrungen und Erkenntnisse einfach nicht umgesetzt worden sind.
Ich beziehe dabei die Wertschätzung durch die Politik nicht nur auf die Auswertung, sondern auf den Prozess insgesamt. Zum Beispiel muss dann tatsächlich ein Staatssekretär oder der Leiter des Krisenstabes auch in der Übung den Krisenstab leiten und nicht nur pro forma teilnehmen. Bei der Auswertung würde ich mir konkret wünschen, dass diese auf Ebene der Politik mit der Leitungsebene des jeweiligen Ressorts besprochen wird und auf Wiedervorlage gelegt wird. Genauso sehe ich das mit Blick auf die Risikoanalysen des BBK. Wichtig wäre, sich solche Übungen, die Auswertungen dazu wie auch die Risikoanalysen genau anzuschauen, zu bewerten, analysieren und dann Konsequenzen daraus ziehen.
Wie hat die LÜKEX dazu beigetragen, die vergangenen Krisen besser zu bewältigen?
Ich glaube, dass sich die LÜKEX-Übung auf die Zusammenarbeitsformen und Verfahren auf den verschiedenen Ebenen sehr positiv ausgewirkt hat. Ich denke beispielsweise an das Szenario Gasmangellage, wo wir intensiv mit der Wirtschaft zusammengearbeitet haben und sagen können, dass dies bei der Gasmangellage zu Beginn der Ukrainekrise durchaus hilfreich gewesen ist. Ich behaupte, dieser ständige Prozess des Austauschs war schon gut.
Was macht die LÜKEX aus Ihrer Sicht besonders?
Das ist eine Übung, die extrem komplex ist angesichts der sehr unterschiedlichen und großen Anzahl von Akteuren, die sich zum Teil erstmalig mit solch großen Krisenübungen befassen und teilweise gar nicht aufgestellt waren für derartige Krisen. 1989 hat die letzte WINTEX stattgefunden. Da gab es so etwas wie Gesamtverteidigung, alle möglichen Bereiche, die befasst waren mit bestimmten Themen. In der in der Zeit danach ist diese Fähigkeit zum Krisenmanagement in vielen Behörden komplett verloren gegangen. Und bei den unterschiedlichen Szenarien der LÜKEX waren und sind die beteiligten Fachbehörden und Ministerien gezwungen, das wieder zu erlernen und zwar in der Gesamtheit. Es geht nicht nur darum, dass auf der strategischen Ebene einige wichtige Politiker oder Verantwortliche üben, sondern diesen Gedanken des Krisenmanagements in die unterschiedlichen Bereiche auf die unterschiedlichen Ebenen zu bringen.
Was wünschen Sie der LÜKEX für die nächsten 20 Jahre?
Wieder Regelmäßigkeit, die dann eine Nachhaltigkeit erzeugt und eine stärkere Beachtung der Übungsvorbereitung, Durchführung und Auswertung durch die letztlich politisch Verantwortlichen, was die Umsetzung der konkreten Ergebnisse umfasst. Dazu gehört, dass regelmäßig überprüft wird, ob die Erkenntnisse tatsächlich umgesetzt worden sind. Es war immer ein Kritikpunkt „Wir machen Übungen, wir machen Auswertungen und was passiert eigentlich dann“? Also sagen wir mal, eine Zuständigkeit für das BBK nach einem Jahr oder nach zwei Jahren zu schauen, was ist denn jetzt eigentlich daraus geworden?
Was erwarten Sie von der LÜKEX, damit sie auch in 20 Jahren noch relevant ist?
Ich erwarte, dass die guten Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre beibehalten werden. Wichtig ist, dass man realistische Szenarien entwickelt, die dann nach außen hin eine besondere Bedeutung haben müssen und dazu führen, dass man sich damit auch befassen will und muss. Und aus den genannten Kritikpunkten heraus hoffe und erwarte ich, dass diese Übung nicht immer wieder verschoben wird. Ich kann nachvollziehen, dass Länder und Bund sich beispielsweise in der Flüchtlingskrise nicht mit einer Sturmflut befassen wollen oder während Corona eine solche Übungsdurchführung kaum möglich ist. Aber dann waren es wieder drei Jahre zwischen den Übungen. Jetzt, bei der letzten Übung, waren es fast fünf Jahre. Wenn man sich den Zyklus politischer Handelnder, die Verantwortung tragen anguckt, ist das eine viel zu lange Zeit. Also eine regelmäßige Durchführung der Übung unter Beteiligung der relevanten Akteure, die müssen wir alle regelmäßig an einen Tisch kriegen.