Interview mit Jürgen Strauß
In welcher Rolle haben Sie damals an der ersten Übung teilgenommen?
Da war ich in der Übungssteuerung, der zentralen Übungssteuerung (kurz: ZÜST), die damals noch gar nicht so hieß, sondern das war eher ein Übungslagezentrum und wurde damals ad hoc aus dem Boden gestampft. Die Übung wurde Ende November durchgeführt, da gab es das BBK grade erst. Ich war da erst zwei Wochen im Dienst und bin dann gebeten worden, bei der LÜKEX mitmachen. Das war richtig spannend, so ins kalte Wasser geschmissen zu werden.
Mich interessieren Ihre persönlichen Eindrücke von damals, wie war das?
Ich hatte überhaupt keine Vorstellung davon, was mich da erwartet. Mein Krisenmanagement-Wissen war bei Null. Die Übung war damals sichtbar aufwendig konzeptioniert und es gab ein beeindruckendes Drehbuch und Szenario. Aber diese administrative Struktur der Übungssteuerung das war fast auf Zuruf und irgendwie hemdsärmelig. Man hatte zwar vorher ein paar Namen auf einer Liste, aber es gab keine Vorgabe wie die Übungssteuerung zu gestalten ist. Wir hatten einen Raum, da war auch Technik drin, ein paar Rechner aufgebaut und man konnte da was an die Wand werfen. Aber mehr nicht, wir mussten uns selber schütteln. Wie erfassen wir das, was wir in der Übungslage brauchen? Meine Aufgabe war unter anderem, am Rechner zu sitzen und diese Lageberichte quasi irgendwie zusammenzuführen. Ich muss sagen, mit dem damaligen Team, das war echt super.
Ich weiß noch, dass der ehemalige Akademieleiter, Herr Läpke, über die Flure an der Akademie für Krisenmanagament, Notfallplanung und Zivilschutz (kurz: AKNZ) gelaufen ist und jeden der vorbeikam verpflichtet hat, im Übungslagezentrum spontan zu helfen. Danach hat das von Übung zu Übung deutlich an Struktur gewonnen. Und heute ist das ein hochprofessionelles Vorgehen im Gegensatz zu damals.
Welche Herausforderungen gab es damals?
Meine größte Herausforderung war, dass ich morgens um 7:00 Uhr angefangen habe und bis 00:00 Uhr durchgehend unter Stress gearbeitet habe. Die erste Übung ging drei Tage und zwei Nächte ohne Pause.
Welcher Aspekt hat Sie damals am meisten beeindruckt?
Dass das wirklich trotz der ganz neuen Übung und dieser Hemdsärmeligkeit eine super Atmosphäre da war, das muss man sagen. Toll war, dass alles irgendwie geklappt hat. Also das, was wir dann an Erkenntnissen rausgekriegt haben, wie geübt wurde, wie auch gerade bei uns im Lagezentrum die Dinge erfasst wurden, das hat funktioniert und war wirklich produktiv am Ende.
Was haben Sie persönlich mitgenommen aus der ersten Übung?
Für mich war das die erste Erfahrung im Krisenmanagement. Ich hatte zwar schon mal den Winter Übungen (kurz: WINTEX) mitgemacht auf Landesebene, aber das war relativ, ich sag mal „gemütlich“ und hier, das war schon Stress über die Zeit. Aber ich habe gelernt, auch diesen Stress auszuhalten und angefangen zu verstehen, was Krisenmanagement ist. Das war eine gute Erfahrung und auch dieses Netzwerk, was sich für Menschen getroffen haben. Das war schon damals so und bleibt bis heute, der Austausch vor, während und nach der Übung, auch persönlich, ist sehr wertvoll.
Was hat die LÜKEX in Ihrer Organisation, dem BBK, angestoßen?
In der Position des BBK als übende Institution haben wir immer eine Art Experiment durchgeführt. Wie stellen wir uns in der Krisenorganisation auf? Wir haben jedes Mal andere Dinge ausprobiert und am Ende festgestellt, Teile davon waren okay, die können wir für die Zukunft nutzen. Andere Teile haben nicht so funktioniert, wie wir uns das gedacht hatten. Das ist auch Sinn der Sache, dass wir unser eigenes Krisenmanagement austesten können, auch mal Dinge probieren können, weil es keine echte Lage ist. Da können wir Fehler oder Schwachstellen entdecken, ohne dass es irgendwo zu Schäden kommt.
Was hat sich im Rückblick als wichtigste Erkenntnis aus den Übungen herausgestellt?
Übergreifend hat sich gezeigt, dass alle doch irgendwie die gleichen Probleme haben und die Erkenntnisse sehr ähnlich sind. Natürlich gab es immer fachspezifische Erkenntnisse und Verbesserungen und die Akteure sind auch unterschiedlich, aber wichtig ist doch, dass es im Krisenmanagement und in der Zusammenarbeit für alle die gleichen Herausforderungen gibt. Die Grundlagen sind immer: Zusammenarbeit ist wichtig, Kommunikation ist wichtig. Leider wurde erst spät erkannt, dass die gewonnen Erkenntnisse die in den abschließenden Berichten stehen, auch übergreifend umgesetzt werden sollten. Das kam, glaube ich, lange Zeit zu kurz.
Auch wichtig: Wie heißt das immer so schön, „in der Krise Köpfe kennen“. Durch die LÜKEX lernt man, da gibt es Akteure, mit denen sollte ich mich vielleicht mal austauschen, die irgendwo vergleichbar an dem gleichen Thema arbeiten oder zumindest mal wo das zusammenspielen muss, was vorher nicht wirklich so richtig klar war. Ich glaube, allein die Akteure zusammenzubringen, das ist schon so ein großer Mehrwert, den die LÜKEX hat.
Welcher rote Faden zieht sich aus Ihrer Sicht durch 20 Jahre LÜKEX?
Das Schema, wie die LÜKEX als Zyklus gestaltet ist, das ist ja dem Grunde nach immer gleich gewesen mit unterschiedlicher Ausprägung. Die lange Planung und Vorbereitung, in der sich die Akteure auf vielen Veranstaltungen austauschen konnten und es passiert schon ganz viel Wichtiges auf fachlicher Ebene. Dann kommt die Übung und danach die gemeinsame Auswertung. So funktioniert auch der Kreislauf im Krisenmanagement, nach der Krise ist vor der Krise, und das hat das Krisenmanagement für viele Übende wirklich verbessert, dieser verlässliche Zyklus. Man lernt immer aus der vorherigen Geschichte bzw. der Krise für die nächste.
Was macht die LÜKEX aus Ihrer Sicht besonders?
Vor allem die Dimension, eine Übung mit zig Behörden und Dienststellen, bei der letzten ungefähr 60. Aber eigentlich, wenn die Länder noch ihren Unterbau mit beüben oder die anderen Landesressorts auch mit üben, dann sind das ja noch viel mehr, je nachdem hunderte, die da mitspielen, die werden nicht offiziell gezählt. Auf jeden Fall diese große Zahl an Menschen, die involviert sind, tausende, das ist eine Dimension, die gibt es sonst so nicht. Mal abgesehen von Übungen der Bundeswehr oder der North Atlantic Treaty Organization (kurz: NATO), das kann man nicht vergleichen. Aber auf der zivilen Seite, also zivile Krisenübungen gibt es überhaupt nicht in der Dimension. Das ist für mich das Beeindruckende, das zu organisieren.
Was wünschen Sie der LÜKEX für die nächsten 20 Jahre?
Dass manche Ebenen noch mehr etabliert und angesprochen werden. Das heißt, natürlich sind auch jetzt schon Staatssekretäre, beispielsweise im Bundesministerium des Inneren und für Heimat (kurz: BMI), einbezogen. Aber ich würde mir wünschen, dass selbst Ministerin oder Minister eigenes Interesse dran haben, wo die höchste politische Ebene sagt, das ist wichtig für unser Land! Also keine Sonntagsreden und Schulterklopfen nachher, sondern wenn es vor der Übung zum Schwur kommt, braucht es Ressourcen, Geld und Personal. Dafür ist die LÜKEX eigentlich ein optimales Instrument, das ebenen- und ressortübergreifend genutzt werden kann.
Was erwarten Sie von der LÜKEX, damit sie auch in 20 Jahren noch relevant ist?
Die LÜKEX sollte sich dem Thema Zivile Verteidigung im engeren Sinne annehmen. In den Krisenmanagement-Runden mit Bund, Ländern und anderen Behörden, Ressorts und Betreibern Kritischer Infrastrukturen (kurz: KRITIS) nehme ich wahr, dass dies das größte Thema derzeit ist. Zumindest Teilaspekte müssten zeitnah geübt werden, da würden auch alle Länder unbedingt mitmachen. In der LÜKEX 23 wurde Zivilschutz implizit geübt mit der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen, darauf müssen wir jetzt aufbauen und den riesen Themenkomplex Zivilverteidigung angehen. Wie machen wir Host Nation Support? Was bedeutet der O-Plan für Deutschland? Meine Vorstellung ist, wie es früher bei den WINTEX Übungen war bis 1989, wo man zivil-militärisch zusammengearbeitet hat. Wir sind damals dafür eine Woche in unseren Bunker gegangen und haben da geübt. Das kannst du heute keinem erzählen. Aber ein Stück weit müssen wir, glaube ich, wieder dahin kommen, dass auch so eine Routine wieder reinkommt, auch in den Köpfen der Bevölkerung: Es gibt bestimmte Risiken und Szenarien, die nicht schön sind und wo wir alle hoffen, dass das nie eintritt. Aber WENN es eintritt, dann sind wir nicht vorbereitet, und da hätte man es lieber mal geübt. Deshalb macht es Sinn, da Dinge weiterzuentwickeln und dann zu üben.