Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 03 – Szenarien, Grundstruktur KAEP

Gast: Dr. Katja Scholtes, Leitende Ärztin der Stabsstelle "Krankenhausalarm- und Einsatzplanung und Krisenmanagement" der Kliniken der Stadt Köln und Vorstandsvorsitzende der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Krankenhaus-Einsatzplanung“ (DAKEP)

MANV
, CBRN-Schadenlagen und der Ausfall Kritischer Infrastrukturen: Auf welche Szenarien müssen sich die Krankenhäuser in ihrem KAEP vorbereiten? Welche verschiedenen Funktionen arbeiten in einer Sonderlage zusammen? Und welchen Einfluss haben die Prozesse zur Bewältigung einer Sonderlage auf den Normalbetrieb im Krankenhaus?

Aufnahme am 10. Mai 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 03 – Szenarien, Grundstruktur KAEP

Dauer: 11:01 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Grüß Gott und herzlich willkommen zur dritten Episode unserer Podcastreihe zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute zum Thema Szenarien, Grundstruktur der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung sowie Funktionen und Prozesse. Dazu begrüße ich ganz herzlich unseren Gast heute: Dr. Katja Scholtes. Sie ist Vorstandsvorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung und im „wirklichen Leben“ ärztliche Leiterin für Krankenhausalarm- und -einsatzplanung der Kliniken der Stadt Köln. Katja, danke, dass du heute dabei bist.

Katja Scholtes:
[0:36] Ja, schönen guten Tag und ich bedanke mich auch für die Einladung, hier mit euch diesen Podcast zu veranstalten.

Martin Weber:
[0:42] Mit mir zusammen als Interviewpartner und am Mikrofon begrüße ich Detlef Cwojdzinski, der als Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz seit vielen Jahren den Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung in Deutschland geprägt hat. Detlef, herzlich willkommen.

Detlef Cwojdzinski:
[0:55] Ja, hallo Martin.

Martin Weber:
[0:56] An der Technik begrüße ich Philipp Schunke.
Mein Name ist Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zuständig für die Ausbildung im Bereich Krankenhausalarm- und -einsatzplanung.

Wichtigste Szenarien

Katja, das Thema Massenanfall von Verletzten oder die Räumung und die Evakuierung sind ja für jeden Mitarbeiter im Krankenhaus greifbare Szenarien, die man vielleicht auch durchaus fürchtet. Es gibt aber ja noch einen Katalog an unterschiedlichsten Szenarien, auf die sich Krankenhäuser zusätzlich vorbereiten sollten und eigentlich auch müssen. Was fallen dir da so für Szenarien ein und auf was sollte man sich denn wirklich zwingend als Krankenhaus vorbereiten?

Katja Scholtes:
[1:40] Ja, da gibt es in der Tat noch jede Menge andere Szenarien oder Sonderlagen. Da fällt mir als erstes die sogenannte "Lebensbedrohliche Einsatzlage", in Abkürzung "LebEL" oder früher "Polizeiliche Lage" genannt, ein. Darunter fallen Lagen wie Bombendrohungen, Amoklagen, Geiselnamen, Bedrohungslagen – alles wo die Polizei hinzugerufen wird, wo die Polizei auch Einsatzleiter ist. Das sind auch Dinge, die wir im Krankenhaus beachten müssen, beziehungsweise auf die wir uns vorbereiten müssen auch in Abstimmung mit der Polizei.
Als nächstes ein riesengroßes Gebiet, und das ist ein sehr wichtiges Gebiet, ist der Ausfall KRITIS. Das Krankenhaus selbst ist ja eine Kritische Infrastruktur. Aber ich rede jetzt von der KRITIS in der KRITIS sozusagen, das sind zum Beispiel der Ausfall technischer Systeme: Ausfall Telefonanlage, IT-Ausfall, Cyber-Attacken, Ausfall Heizung, Wasser, Strom – kann alles passieren und da muss man natürlich auch drauf vorbereitet sein.
Dann wurde eben schon der Massenfall von Verletzten erwähnt, da gibt es aber auch noch eine Sonderlage in dieser Richtung, nämlich die C-Lage. Wir sind zum Beispiel in Köln von vielen Chemiefirmen umringt und da ist es nicht ungewöhnlich, dass auch ein chemisch kontaminierter Patient oder mehrere zu uns gebracht werden. Auch darauf müssen wir uns vorbereiten. Und nicht unerwähnt lassen möchte ich die radio-nukleare Lage, wobei das wieder eine ganz große Herausforderung ist in den Krankenhäusern, sich darauf vorzubereiten. Und last but not least natürlich – das merken wir ja gerade sehr deutlich – braucht es einen ausführlichen und funktionierenden Pandemieplan.

Pragmatisches Vorgehen

Detlef Cwojdzinski:
[3:20] Katja, viele Krankenhäuser haben ja nun tatsächlich noch nicht für all diese Szenarien ihre Planung. Wenn ich jetzt als Verantwortlicher an so ein Szenario neu herangehe und das planen soll, wie gehe ich da am besten pragmatisch vor? Hast du irgendwelche Tipps für uns?

Katja Scholtes:
[3:35] Also ich denke man muss erstmal das Vorhandene sichten und auch sehen: Wie hoch ist für mein Krankenhaus das Risiko? Und da sind wir wieder bei dem Thema Risikoanalyse. Die ist sehr, sehr wichtig.
Ich muss mir Gedanken machen: Welche Faktoren beeinflussen die Kapazität und die Funktionalität eines Krankenhauses? Kann das Krankenhaus parallel in der Sonderlage noch weiter existieren? Ein Beispiel: ich denke da jetzt an Hochsommer und das Wasser muss abgesperrt werden, weil die Druckminderer defekt sind – so eine Lage habe ich selbst erlebt – wo bekommen wir Wasser her? Und daran merkt man erstmal, wie wichtig die Zufuhr von Wasser, und nicht nur Trinkwasser, in den Krankenhäusern ist. Und da muss man gegebenenfalls sogar evakuieren.
Das muss man alles im Vorfeld planen, mit den Beteiligten besprechen, auch den fachkompetenten Beteiligten. Denn der Leiter Krankenhausalarm- und -einsatzplanung ist ja nicht die eierlegende Wollmilchsau, die alles weiß – also ist es wichtig, dass man mit den Kollegen zusammenarbeitet, dass man Handlungsanweisungen erstellt, die höchstens eine Seite lang sind, damit man auch im Sonderfall sofort weiß, was man zu tun hat.
Und dann natürlich auch die Schulung. Was muss ich tun? Wer informiert wen? Wie ist die Kommunikation im Haus? Das sind Dinge, die ganz, ganz wichtig sind.

Relevante Funktionen

Martin Weber:
[4:54] Du hast jetzt die eierlegende Wollmilchsau erwähnt. Der Planer oder der Verantwortliche für die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung ist ja nicht derjenige, der dann auch alles umsetzen kann, wenn der Alarmplan aktiviert wird. Kannst du uns einen Überblick über die relevanten Funktionen geben, die ich im Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung zwingend vorhalten sollte? Gibt es Funktionen, die nur für einzelne Szenarien relevant sind oder musst du wirklich jede Funktion für alle Szenarien auch vorhalten?

Katja Scholtes:
[5:23] Also da gibt es wirklich sehr viele Facetten. Als wichtigstes ist aber die Schaffung der Funktion des medizinischen Einsatzleiters und der muss auch rund um die Uhr verfügbar sein. Der Leiter KAEP ist nicht derjenige, der dann vor Ort diese Funktion übernimmt, weil der Leiter KAEP nicht rund um die Uhr 24/7 ständig verfügbar sein kann – er kann aber im Bedarfsfall natürlich auch Tipps geben oder ist dann auch zur Unterstützung da. Aber die Leiter KAEP sehe ich dann eher in der Krankenhauseinsatzleitung.
Der medizinische Einsatzleiter im Krankenhaus ist auf der operativen Ebene derjenige, der als erstes alarmiert wird, egal ob ich einen Stromausfall habe oder ob ich einen Massenanfall von Verletzten habe und von extern eine Alarmierung bzw. Meldung ins Krankenhaus reinkommt. Der medizinische Einsatzleiter könnte zum Beispiel der diensthabende Unfallchirurg oder der Chirurg sein – das muss man bedarfsadaptiert besprechen im Vorfeld. Da gibt es keine Regel, aber diese Funktion muss auf jeden Fall da sein.
Und der löst dann die operative Einsatzleitung aus. Da könnten zum Beispiel auch noch Mitarbeiter der Anästhesie oder der Techniker mit in dieser Gruppe sein. Und diese Gruppe nennt man dann die operative Einsatzleitung. Das sind Funktionen, die es im normalen Alltagsleben eines Krankenhauses nicht gibt.
Es gibt dann noch darüber hinaus den sogenannten ZONK – den zentralen operativen Notfallkoordinator. Das ist der, der medizinisch den Hut aufhat, nicht nur beim Massenanfall von Verletzten, sondern bei allen anderen Sonderlagen auch. Und die beiden ergänzen sich.
Der medizinische Einsatzleiter ist organisatorisch verantwortlich und nimmt auch Kontakt auf zum Geschäftsführer, um zu besprechen: Ist das eine Sonderlage, die den Aufbau einer Krankenhauseinsatzleitung bedarf oder kann man das auf operativer Ebene abarbeiten?
Und dann gibt's natürlich in der Krankenhauseinsatzleitung auch Funktionen – ich denke da an die DV 100 – die S1- bis S6-Funktionen, die es normalerweise so auch nicht gibt und die dann eingerichtet werden.
Also da gibt es wirklich sehr viele, denn in einer Sonderlage ist alles anders, als im Alltag. Und das fällt einigen Führungskräften schwer zu akzeptieren – wenn ich das auch mal so auch erwähnen kann.

Prozess-Anpassungen

Detlef Cwojdzinski:
[7:44] Aber wichtig ist eben auch, wirklich in Funktionen und nicht in Personen zu denken, weil nur die Funktion steht dauerhaft zur Verfügung. Ich glaube, das ist noch mal ganz wichtig zu sagen.
Du hast ja jetzt schon deutlich gemacht, dass es viele Funktionen geben wird, die so im Normalbetrieb nicht da sind. Wie sieht's denn mit Prozessen im Krankenhaus aus? Die Patientenversorgung läuft ja ein Stück weit auch immer im Normalbetrieb ab, aber es greifen natürlich auch immer wieder andere Prozesse. Kannst du vielleicht auch ein paar Beispiele nennen, wie zum Beispiel beim Massenanfall von Verletzten, wo auch der Normalbetrieb läuft, aber wo auch besondere Prozesse dann greifen müssen, um so ein Szenario zu beherrschen?

Katja Scholtes:
[8:24] Also man kann nicht sagen, dass bei jeder Sonderanlage der komplette Krankenhausbetrieb eingestellt werden muss. Ich denke da jetzt an ein Krankenhaus mit mehreren Gebäuden, in dem es in einem Gebäude jetzt zum Beispiel brennt. Dann kann ich natürlich in den anderen Gebäuden weitgehend weiterarbeiten.
Wenn die Sonderlage aber in so viele Ressourcen und in so viele Prozesse eingreift, wie wenn zum Beispiel die Radiologie betroffen ist, dann muss ich natürlich das Krankenhaus von der Notfallversorgung abmelden und muss auch Patienten entlassen, die entlassfähig sind, und kann dann nicht mehr den Versorgungsauftrag übernehmen.
Insofern kommt es immer drauf an: Was habe ich? Man muss immer diese Lage beurteilen. Das sieht man ja auch bei der Feuerwehr: man muss erstmal die Lage beurteilen, um zu sehen: Was muss man tun und was muss man stoppen in dem Moment? Welche Prozesse muss ich weiter fortführen? Diese Frage kann ich so nicht generell beantworten. Aber wichtig ist, dass die Prozesse ineinandergreifen und zwar die Abarbeitung der Sonderlage, dass man da weiß, wie man kommuniziert und weiß, was man zu tun hat.
Ich denke da zum Beispiel auch an die Kommunikation zwischen der operativen Ebene des medizinischen Einsatzleiters, über den wir eben gesprochen haben, mit der S3-Funktion in der Krankenhauseinsatzleitung. Und dass da nicht jeder jeden anruft, sodass es Bypass-Effekte gibt. Genauso gilt das auch für die Präklinik, dass nicht der Notarzt, der zum Beispiel aus dem Krankenhaus kommt, aber jetzt als Notarzt unterwegs ist, seine Kollegen im Bypass-Verfahren anruft.
Sowas kommt auch immer wieder vor und das muss man vorher alles ganz genau festlegen: Wer kommuniziert mit wem? Wir sind das im Krankenhaus nicht so gewohnt, wie jetzt beispielsweise die Polizei, beziehungsweise die Feuerwehr. Bei den Feuerwehren ist es ganz klar: Jeder hat seine Aufgabe und jeder weiß, mit wem er kommuniziert. Und bei uns in den Krankenhäusern ist das nicht der Alltag. Und das ist aber ganz wichtig. Sonst geht das Ganze schief.

Dank & Abschied

Martin Weber:
[10:27] Katja, vielen lieben Dank für deine Einblicke und vor allem für deine Erfahrungen zum Thema Szenarien, Funktionen und Prozesse im Bereich Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Liebe Kollegen, ein herzliches Dankeschön von meiner Seite für die Erstellung dieses Podcasts und, liebe Zuhörer, für Sie ein Dankeschön für Ihr Interesse an unserem Podcast. Und damit wünsche ich Ihnen einen schönen Tag noch. Auf Wiederhören, bis bald.

Detlef Cwojdzinski:
[10:52] Auf Wiederhören auch von meiner Seite.

Katja Scholtes:
[10:54] Ja, auf Wiederhören und alles Gute.

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