Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 04 – Alarmierung

Gast: André Solarek, Leiter der Stabsstelle "Katastrophenschutz und Notfallplanung" der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Dr. Martin Weber, Detlef Cwojdzinski und André Solarek erörtern gemeinsam, auf welche internen und externen Wege Meldungen ins Krankenhaus kommen, wie die Alarmierung der Mitarbeitenden technisch umgesetzt werden kann und welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Alarmierung hat. Darüber hinaus geben sie Tipps zu Alarmierungssystemen, zur Pflege der notwendigen Alarmierungsdaten und zur Einrichtung von Mitarbeitersammelbereichen.

Aufnahme am 26. April 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 04 – Alarmierung

Dauer: 14:23 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Herzlich willkommen zu unserer vierten Episode der Podcastreihe zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute zum Thema Alarmierung.
Dazu ist unser Gast Herr André Solarek. Herr Solarek leitet beim Vorstand Krankenhausversorgung der Charité die Stabsstelle Katastrophenschutz und Notfallplanung. Hallo André, schön, dass du da bist.

André Solarek:
[0:24] Hallo Martin.

Martin Weber:
[0:25] Mit mir zusammen als Interviewpartner begrüße ich Detlef Cwojdzinski.

Detlef Cwojdzinski:
[0:29] Hallo Martin.

Martin Weber:
[0:30] Detlef, du bist ja seit vielen Jahren als Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz unterwegs und hast den Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung maßgeblich mitgegründet und geprägt bei uns in Deutschland.
Mein Name ist Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zuständig für den Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung in der Ausbildung.

Externe und interne Alarmierungswege

André, dann lass uns doch gleich in medias res starten mit der ersten Frage: An welche externen und internen Alarmierungs- beziehungsweise Meldewege sollte man, vor allen Dingen von der organisatorischen Seite her, denken, wenn man einen Krankenhausalarmierungsplan aufstellt und sich Gedanken darüber macht, wie man das Ganze organisatorisch hinbekommen könnte?

André Solarek:
[1:16] Genau, vielleicht fangen wir mal intern an, weil da sind die Sachen ja sozusagen sofort und ad hoc verfügbar. Da haben wir natürlich als erstes die eigenen Mitarbeiter, die irgendwas feststellen und damit zum Alarmierenden werden. Wir haben aber auch Patienten und Besucher, die als, ich sage jetzt mal, menschliche Melder fungieren können.
Aber auch die ganzen technischen Seiten, wie Gebäudeleittechnik, Gebäudemesstechnik, aber auch die Brandmeldezentralen sind Lösungen, die uns im Haus eine Alarmierung bescheren können. Es gibt darüber hinaus sicherlich noch andere, Einbruchsmeldeanlagen und irgendwelche Gasmeldeanlagen, Überwachungssysteme für die Druckgase, wie Sauerstoff und so weiter, aber eben auch Meldungen, die uns von Extern erreichen können. Das kann der einbringende Rettungsdienst sein, der uns über eine sich anberaumende Lage informiert oder eben die Feuerwehr. Es können aber auch Einsatzkräfte der Polizei sein, die als Melder fungieren. Es kann aber auch das zuständige Gesundheitsamt sein, was uns über den Ausbruch zum Beispiel von einem Norovirus in einem Altenheim informiert und uns sozusagen triggert, Maßnahmen einzuleiten und den Alarmplan entsprechend zu aktivieren.

Technische Möglichkeiten

Detlef Cwojdzinski:
[2:28] André, da will ich mal fortsetzen direkt. Welche technischen Möglichkeiten der Alarmierung stehen denn üblicherweise heutzutage zur Verfügung? Die Digitalisierung macht ja auch an der Stelle vieles möglich.

André Solarek:
[2:39] Die Digitalisierung hilft uns da extrem, gerade in puncto Geschwindigkeit. Viele Krankenhäuser oder doch die meisten Krankenhäuser sind ja mittlerweile über die Gebäudeleittechnik gut vernetzt und können entsprechende Trigger und Alarme auslösen lassen, die in erster Linie technischer Natur sind.
Aber auch so ein technischer Alarm kann natürlich bei einer Versorgungsbedrohung einer Kritischen Infrastruktur, beispielsweise der medizinischen Gase, natürlich dann auch zu einer Alarmierung von medizinischem Personal führen. Da können mittlerweile automatisiert SMS losgetreten werden aufgrund von Brandmeldungen beispielsweise, es können automatisierte Telefonanrufe gestartet werden, in denen dann ganz präzise der Grund des Alarms mitgeteilt wird – über eine synthetisierte Sprachnachricht, die dann aufgrund eines Alarms generiert wird. Es kann aber heutzutage auch über spezielle Apps alarmiert werden oder ganz oldschool, aber auch nicht verkehrt, über den Weg einer klassischen SMS oder eines Faxgerätes.

Vor- und Nachteile elektronischer Alarmierung

Martin Weber:
[3:51] Ja, danke dir. Was sind denn deiner Meinung nach die Vor- und vor allen Dingen aber auch die Nachteile von diesen neuen elektronischen Alarmierungssystemen?

André Solarek:
[4:00] Also der Vorteil der elektronischen Alarmierung oder der digitalen Alarmierung ist sicherlich die Geschwindigkeit. Also wir haben da mittlerweile Möglichkeiten, dass man bis zu 1.000 und mehr Leute nahezu zeitgleich alarmieren kann über verschiedenste Wege und dass dadurch natürlich die Reaktionszeiten der Alarmierenden relativ kurz ist.
Nachteil von der ganzen Digitalisierung ist natürlich: Ich kann nur so gut alarmieren, so gut auch meine Alarmierungslisten oder meine Empfängerlisten gepflegt worden sind. Das heißt, wenn ich da mit veralteten Rufnummern arbeite, gehen diese unter Umständen halt ins Leere.
Man muss sich gut überlegen, ob man ein eigenes System im Haus vorhält und quasi 100 % Kontrolle dann auch über die technische Verfügbarkeit hat oder ob man sich an ein externes System wendet. Das setzt dann aber natürlich voraus, dass man eine funktionierende Datenverbindung oder eine funktionierende Telefonverbindung nach außen hat, was je nach Schadensereignis unter Umständen dann vielleicht auch nicht möglich ist. Dann hat man zwar ein Alarmierungssystem, das man aber nicht benutzen kann. Von daher sollte man, wäre meine persönliche Empfehlung, eigentlich lieber das System im Haus haben, was aber sicherlich kostenmäßig abzuwägen ist.

Systempflege

Detlef Cwojdzinski:
[5:22] Na ja und dann gibt's ja das Problem – du hast es ja eben schon angesprochen – die Pflege der Daten in so einem Alarmierungssystem. Ihr seid nun ein extrem großes Haus, ihr habt hunderte und tausende von Mitarbeitern ins System einzupflegen, müsst ihnen bestimmte Alarmierungswege zuweisen und, und, und. Wie stellt ihr denn am besten die Pflege dieses Systems dann wirklich sicher?

André Solarek:
[5:42] Also bei uns findet es im Rahmen der Personalaktenpflege statt. Also sowohl bei Neueinstellungen als auch beim Wechsel der Mitarbeiter innerhalb des Hauses in andere Bereiche werden die Rufnummern aktualisiert beziehungsweise neu abgefragt. Zudem ist jeder Mitarbeiter per Dienstvereinbarung verpflichtet, sich zu melden, wenn sich bei ihm etwas ändert und wir fragen aber auch proaktiv die Bereiche einmal im halben Jahr direkt ab und fordern Listen ein, die zum einen als Redundanz dienen, falls das System mal ausfällt, und eben auch für uns dann zur Aktualisierung, womit wir dann entsprechend das System pflegen. Es ist aufwändig, aber es lohnt sich.

Detlef Cwojdzinski:
[6:31] Aber die direkte Datenpflege macht also die Personalabteilung, ja?

André Solarek:
[6:35] Die direkte Datenpflege läuft bei uns über die Admins. Also die Kollegen, die für unser Alarmierungssystem verantwortlich sind, die sind mir quasi unterstellt, und die machen einen Tag oder zwei Tage die Woche nichts anderes, als Daten rein und Daten raus aus dem System, Zuweisung in die unterschiedlichsten Alarme und so weiter. Also schon auch relativ aufwendig.
Womit wir jetzt keine so gute Erfahrung gemacht haben: wenn man's zu 100% in die Eigenverantwortung der Mitarbeiter legt. Das klappt leider bei einigen Berufsgruppen gar nicht, bei manchen klappt das gut.
Das muss jedes Unternehmen, jedes Haus, für sich, glaube ich, so ein bisschen ausloten, was da der bessere Weg ist. Aber ich glaube, bei einem Unternehmen, auch jetzt gerade unserer Größe, muss man mehrere Wege beschreiten, um ans Ziel zu kommen.

Alarmierungszeiten

Martin Weber:
[7:25] Das ist ja jetzt aber wirklich schon ein ganz schöner Aufwand, der da betrieben wird. Wie sind denn eure Erfahrungen mit den Alarmierungszeiten? Wie schnell steht euch denn das Personal im Einsatzfall dann tatsächlich zur Verfügung?

André Solarek:
[7:35] Hmm, da muss man ein bisschen unterscheiden zwischen den Arten der Alarmierung. Also wenn wir jetzt beispielsweise mal die Vollalarmierung eines unserer Standorte nehmen, arbeiten wir ja bei einem Massenanfall von Verletzten mit einem kaskadierenden Alarmierungssystem und je nachdem, welche Alarmstufe ich da auslöse, alarmiere ich ja ein gewisses Volumen an Mitarbeitern.
Wenn ich jetzt den worst case annehme und die Alarmstufe 3 auslöse, habe ich an dem größten Standort, den wir haben, so knapp 3.000 Mitarbeiter, die alarmiert werden. Da braucht unser System so ungefähr zehn Minuten bis allein die Alarmierung durchgelaufen ist, plus dann natürlich die Zeit, die die Mitarbeiter brauchen, um den Dienstort zu erreichen und da sind die Zeiten extremen unterschiedlich. Wir haben Mitarbeiter, die wohnen, ich sage jetzt mal, fußläufig von ihrem Standort entfernt und sind in zwei bis fünf Minuten da. Und wir haben Mitarbeiter, die wohnen streckenweise bis zu 100 Kilometer von ihrem Einsatzort weg, die sich dann erst ins Auto setzen müssen und dann fast eine Stunde unterwegs sind.Womit wir jetzt nicht so gute Erfahrungen oder keine idealen Erfahrungen gemacht haben, ist, dass wir die Alarmierungspriorisierung an die Entfernungen zum Wohnort koppeln. Das haben wir auch mal eine Zeit lang versucht, mussten aber feststellen, dass das bei der mittlerweile doch sehr mobilen Belegschaft nicht wirklich zielführend ist. Jeder ist nach der Arbeit nicht immer gleich zu Hause, sondern ist irgendwie noch mal unterwegs und von daher sind die Einsatzzeiten extrem unterschiedlich. Aber, ich sage mal, der Peak der Verfügbarkeit der Mitarbeiter ist so nach 30 Minuten bis eine Stunde nach Alarmierung dann da.

Detlef Cwojdzinski:
[9:19] Ja André, wir hatten früher mal aus den Übungserfahrung in Berlin so den Ansatz und haben gesagt: Ein Drittel des Personals ist nach einer halben Stunde da, das zweite Drittel nach der Stunde und nach anderthalb Stunden waren eigentlich all die Leute da, die wir brauchen. Würdest du das heute auch noch so sehen?

André Solarek:
[9:34] Ja, also im Großen und Ganzen. Man muss natürlich immer ein bisschen gucken, aus welchem Grund alarmiere ich? Um mal ganz kurz den Schwenk zum Breitscheidplatz zu bekommen: Als wir aufgrund des Ereignisses am Breitscheidplatz alarmiert haben, haben wir ja nicht voll alarmiert, sondern nur einen Teil. Und allein durch die mediale Begleitung des Ereignisses sind Mitarbeiter auch ohne Alarmierung gekommen. Da hatten wir dann eher das positive Problem, dass wir zu viele Mitarbeiter im Haus hatten. Also wenn dann im Prinzip solche Ereignisse medial auch noch getriggert werden, erreicht man diese Zeiten locker. Dann eher sogar zu viel.

Sammelpunkte

Detlef Cwojdzinski:
[10:11] Damit hast du mir gleich die Vorlage für die nächste Frage gestellt. Wo sammelt ihr denn die Mitarbeiter, wenn sie nach der Alarmierung kommen? Ich weiß, dass es ja auch unterschiedliche Punkte geben kann, aber gerade unter dem Aspekt, vielleicht zu viele Mitarbeiter zu haben, muss man sich ja schon gut Gedanken machen: Wo will ich sie denn sammeln?

André Solarek:
[10:27] Wir haben's bei uns ein bisschen aufgeteilt, weil die klassische Lehre "alle Mitarbeiter zum Mitarbeitersammelplatz" hat bei uns eher zu Verwirrungen geführt und auch zu einer Verzögerung der Einsatzzeiten, gerade in den Funktionsbereichen. Ich habe das vor vielen Jahren bei uns getrennt und ich schicke das Funktionspersonal – also Mitarbeiter der Anästhesie, der Intensivmedizin, Notaufnahmen, OP-Bereich – nach der Alarmierung direkt in ihre eigentlichen Kernbereiche. Die sollen sich dann dort formieren, sollen sich dort auch in die Mitarbeiterlisten eintragen und dann meldet der Bereich geschlossen, wie viel Manpower er hat. Das wird dann bei uns in der Einsatzleitung entsprechend koordiniert. Und das sind ja auch die Bereiche, die wir für den ersten Angriff schnell und allumfänglich funktionierend haben müssen.
Alle anderen Mitarbeiter, die eben nicht diesen Marker "Funktionsdienst" haben, die gehen bei uns in definierte Mitarbeitersammelbereiche und registrieren sich dort mit Name, Vorname und Verwendungsort, kriegen dann entsprechend Westen oder halt, wenn wir keine Westen mehr haben, dann Umhängekarten und werden dann von dort über die jeweiligen Bereichsleiter abgerufen und gehen dann in die Bereiche. Also wir haben's ein bisschen aufgeteilt.

Tipps und Tricks

Martin Weber:
[11:44] Und jetzt zu guter Letzt, nachdem du schon ganz, ganz viel erzählt hast: Welche Tipps und welche Tricks würdest du uns denn noch mitgeben wollen, um wirklich ein gut funktionierendes Alarmierungssystem aufzubauen? Was sind die Fallstricke, die ihr dort überwunden habt?

André Solarek:
[12:00] Das ist echt eine miese Frage oder eine schöne Fangfrage. (lacht)

Martin Weber:
[12:04] Ja, wissen wir.

André Solarek:
[12:06] Also ich behaupte mal, dass es in den meisten Krankenhäusern schon irgendwelche Systeme geben wird, die vielleicht auch für klinische Alarme, für Rearufe, für Schockraumalarme und so weiter genutzt werden. Und ich denke, man sollte in erster Linie gucken: was hat man schon an Bordmitteln im Haus und wie können diese Systeme angepasst werden, um eben dann auch für eine vollumfängliche Personalalarmierung aufgerüstet oder umgerüstet zu werden. Wenn man jetzt ein System kauft, was nur für diesen einen Zweck dienlich ist, wird die Compliance nicht so groß sein – vor allem nicht bei den Kaufleuten.
[12:44] Und wenn Sie ein System haben, was Sie dann irgendwie einmal in 5 Jahren brauchen, weil es dann mal getestet wird, ist das, glaube ich, nicht gut. Wenn man an eine Neuanschaffung geht, sollte man also viele Bereiche vorher abklopfen, was man da noch alles mit reinnehmen kann. Also wir haben ja, wie gesagt, das Thema Personalalarmierung, wir haben aber eben auch das Thema der Alarmierung für medizinische Alarme. Aber man kann eben auch gucken, ob man die Betriebstechnik des Hauses da irgendwie noch mit abdecken kann. Und man sollte vorher ein paar Runden drehen und abklopfen, wie denn die Bedarfe überhaupt im Unternehmen sind.
Und dann muss man sich die ganz große Frage stellen: Leisten wir uns ein eigenes System? Leisten wir uns einen eigenen Alarmierungsserver? Oder klopfen wir den Markt ab und gucken, ob wir uns einen externen Anbieter suchen, der dann in unserem Auftrag die Alarmierungen durchführt? Das ist eine Philosophiefrage in meinen Augen. Meine persönliche Meinung: Ich würde immer zu einem eigenen System gehen, denn dann wissen Sie, was mit den Daten passiert. Sie wissen, in welcher Infrastruktur sich dieses System bewegt. Man muss aber auch wissen: Das System ist nur so gut, wie dann auch die Telefonanlage ist, die dahintersteht. Also da müssen Sie auch eine sehr hohe technische Kompetenz haben, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aber wenn's dann soweit ist, glaube ich, findet man auch die entsprechenden Leute, die einen da gut beraten können.

Dank & Abschied

Detlef Cwojdzinski:
[14:11] Ja André, das war eine runde Sache. Alle Informationen zur Alarmierung, glaube ich, haben wir damit gegeben. Herzlichen Dank dafür und mach es gut!

André Solarek:
[14:18] Ja, vielen Dank.

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung


Übersicht