Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 05 – Führungsorganisation

Gast: Prof. Dr. Thomas Wurmb, Leiter der Sektion "Notfall- und Katastrophenmedizin" am Universitätsklinikum in Würzburg und erster stellvertretender Vorsitzender der DAKEP

Verschiedene Schadenlagen können zu einer akuten Überlastung der Behandlungskapazität oder zu einer Einschränkung der Funktionalität des Krankenhauses führen. Prof. Dr. Wurmb erläutert, wie sich die Krankenhäuser bei der Erstellung des KAEP mit Hilfe des konsequenzbasierten Modells auf verschiedene Schadenlagen vorbereiten können und wie die operative Einsatzleitung mit Hilfe dieses Modells in einer solchen Situation Erstmaßnahmen möglichst schnell vorbereiten und umsetzen kann. Darüber hinaus beantwortet er die Fragen: Wie setzen sich operative Einsatzleitung und Krankenhauseinsatzleitung zusammen? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen beiden Führungsorganisationen?

Aufnahme am 14. Mai 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 05 – Führungsorganisation

Dauer: 27:42 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Grüß Gott und hallo zur fünften Episode unserer Podcastreihe zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute mit dem Thema Führungsorganisation. Dazu unser Gast, Universitätsprofessor Dr. med. Thomas Wurmb, Leiter der Sektion Notfall und Katastrophenmedizin am Universitätsklinikum Würzburg. Er ist Facharzt für Anästhesiologie, trägt die Zusatzbezeichnungen für Intensivmedizin und Notfallmedizin und ist für dieses Thema Krankenhausalarm- und -einsatzplanung erster stellvertretender Vorsitzender der Deutsche Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung. Thomas, Dankeschön, dass du dir die Zeit genommen hast für uns heute.

Thomas Wurmb:
[0:45] Hallo, herzlich willkommen. Ja, mache ich sehr gerne.

Martin Weber:
[0:48] Mit mir zusammen am Mikrofon und als Interviewpartner begrüße ich ganz herzlich Detlef Cwojdzinski, der als langjähriger Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz den Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung in Deutschland maßgeblich mitgeprägt hat. Detlef, schön, dass du heute wieder mit dabei bist.

Detlef Cwojdzinski:
[1:04] Hallo Martin, hallo Thomas.

Martin Weber:
[1:06] An der Technik begrüße ich ganz herzlich Philipp Schunke.
Mein Name ist Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Bereich gesundheitlicher Bevölkerungsschutz zuständig für die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung und die Ausbildung in dem Bereich auf Bundesebene.

Konsequenzbasiertes Modell

Thomas, lass uns einsteigen mit dem Podcast zum Thema Führungsorganisation. Früher hat man ja oft getrennt in die Bereiche interne Lagen und externe Lagen in der Krankenhauseinsatzplanung. Du nutzt dazu das sogenannte konsequenzbasierte Modell. Warum machst du das? Was ist das Besondere an diesem Modell? Wie kann es konkret angewendet werden? Und was sind die Vorteile davon, dass du eben nicht die alten Strukturen, sondern jetzt ein neues Modell verwendest?

Thomas Wurmb:
[1:54] Also zunächst mal ist die Unterscheidung in interne und externe Lagen ja nicht falsch. Sie ist traditionell entstanden und hat durchaus noch ihre Berechtigung, weil es einfach eine, ich sage mal, geographische Beschreibung der Entstehung einer Schadenslage ist. Die klassische externe Lage, der Massenanfall von Verletzten nach einem Zugunglück oder einem Busunfall, ist eine externe Lage, weil sie außerhalb des Krankenhauses entsteht. Genauso ist ein Brandereignis innerhalb eines Krankenhauses, eine interne Lage, weil sie halt nun mal im Krankenhaus entsteht. Von daher ist diese Klassifikation zur Beschreibung einer Schadenslage nicht falsch und wird auch weiterhin sinnvoll verwendet.
Ein Problem entsteht dann, wenn eine interne Lage Charakteristika einer externen Lage bekommt, also beispielsweise der Massenanfall von Verletzten im Rahmen eines Brandereignisses am Krankenhaus. Oder aber, wenn eine externe Lage sich nach intern verlagert: wie zum Beispiel der Second Hit im Rahmen eines Terroranschlages. Wenn es zunächst außerhalb des Krankenhauses zu einem ersten Anschlag kommt und es dann möglicherweise zur Einschleppung von Tätern sozusagen als Patienten ins Krankenhaus kommt – dann wird aus einer externen Lage auch eine interne Lage. Also von daher sind hier Mischformen möglich und die Definition dieser Trennung von intern und extern ist nicht sauber aufrechtzuerhalten.
Ein ganz wesentlicher Punkt ist aber ein anderer, nämlich dass die reine Lagebeschreibung nach der geographischen Entstehung keine planerische Konsequenz in sich trägt. Also was muss ich denn machen, wenn ein Massenanfall von Patienten außerhalb des Krankenhauses entsteht? Durch die reine Beschreibung der Entstehung gibt es für mich keine Hinweise, was ich planerisch zu tun habe, wie ich mich als Krankenhaus und als Leiter der Krankenhauseinsatzplanung darauf vorbereiten kann, welche Kräfte ich dazu brauche. All diese Dinge sind hier nicht beschrieben und Ausgangspunkt dieser Überlegung war die Entwicklung des konsequenzbasierten Modells und Folgendes steckt dahinter: Letztlich gibt es nur zwei Konsequenzen, die eine Schadenslage, welcher Art auch immer, für ein Krankenhaus hat. Die eine Konsequenz ist die Überlastung – die akute Überlastung der Behandlungskapazität. Und die andere Konsequenz ist die Einschränkung der Funktionalität des Krankenhauses.
Ich nenne ein Beispiel: Massenanfall von Patienten. In die Notaufnahme eines Krankenhauses kommen in kurzer Zeit 20, 30, 40 oder mehr schwerverletzte oder verletzte Patienten. Dementsprechend ist die Behandlungskapazität akut überlastet.
Die Funktionalität ist akut eingeschränkt, wenn sich beispielsweise ein Stromausfall oder IT-Ausfall ereignen und dementsprechend die Funktionalität des Krankenhauses akut beeinträchtigt oder sogar komplett ausgefallen ist, was diesen Bereich anbelangt. Wasser, Wärme und all diese Dinge sind hier zu nennen.
Der große Vorteil, wenn man so denkt oder ein solches Denkmodell aufbaut, ist, dass sich die Konsequenzen aus diesen Überlegungen direkt planerisch ergeben. Ich gehe als erstes Beispiel auf die Funktionalität ein. Wenn wir annehmen, ein IT-Ausfall führt zu einer Unmöglichkeit Patientendokumentation zu machen, Untersuchungen anzumelden, Operationen anzumelden, zu dokumentieren, Patienten aufzunehmen, Patienten weiterzuleiten, miteinander zu kommunizieren. Oder auch die Telekommunikation, die Telefonie, fällt aus, dann sehen wir, dass das eine erhebliche Konsequenz auf die Grundaufgabe des Krankenhauses hat, nämlich Patienten zu behandeln. Dementsprechend kann man die erste Konsequenz ziehen und sagen: Wir müssen alles dafür tun, um das zu verhindern. Also müssen Schutzmechanismen aufgebaut werden, es müssen Redundanzen geschaffen werden und hier sieht man, dass die Antizipierung der Konsequenz aus diesem Schadensereignis sofort in eine planerische Konsequenz mündet. Der nächste Schritt würde bedeuten, wenn die Redundanz und der Schutz dieser Qualität nicht ausreichen, dann müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Funktionalität erstens möglichst schnell wiederherzustellen und zweitens aber auf einem analogen Niveau aufrechtzuerhalten. Das hat also direkte planerische Konsequenzen.

Detlef Cwojdzinski:
[6:51] Was du da vorstellst, Thomas, ist ja jetzt eigentlich so die klassische Form eines Lagedienstes, ne? Der Lagedienst muss ermitteln, was da für Vorkommnisse sind und leitet daraus dann Schlüsse ab, ne? Ist das eine andere Form der Lagedarstellung im Prinzip, die du mit dem konsequenzbasierten Modell betreibst?

Thomas Wurmb:
[7:09] Ich würde es noch nicht als Lagedarstellung bezeichnen, weil wir ja die Lage dann akut zu bearbeiten haben. Hier sind wir wirklich in der Vorphase, also in der planerischen Phase, in der Erstellung des Krankenhausalarm- und -einsatzplanes. Und von daher ist das Arbeiten nach dem konsequenzbasierten Modell ein Planungsmodell. Und dementsprechend würde die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung sich hier darauf konzentrieren, den Konsequenzen auf der Seite der eingeschränkten Funktionalität entsprechend die wesentlichen Punkte im Plan abzuarbeiten. Das heißt, es ist eine Hilfe, dass man wesentliche Punkte nicht übersieht oder vergisst, weil man sich über die Konsequenz dieses Schadensereignisses ganz klar bewusst geworden ist.
Und auf der anderen Seite zieht die akute Überlastung der Behandlungskapazität sofort die Konsequenzen nach sich: Wir müssen alles dafür tun, um die Behandlungskapazität akut zu erhöhen. Also dazu zählt die Definition von Behandlungsbereichen, die Sichtung von Patienten und eine Reihung der Priorisierung welcher Patient zuerst behandelt werden muss. Das impliziert die Rekrutierung von Dienstpersonal und von dienstfreiem Personal. Das impliziert das sofortige Herunterfahren des Elektivprogrammes. Alle diese Dinge, die gezielt dazu dienen, die Behandlungskapazität zu erhöhen – und zwar akut. Wenn man so denkt, dann fällt einem auch sofort auf: Wir brauchen auch Material. Also OP-Siebe, wir brauchen Sterilgut, wir brauchen Infusionssysteme, wir brauchen Tourniquets zum Beispiel. Also was brauche ich, um die Behandlungskapazität akut an den Bedarf anzupassen?
Und dementsprechend ist das konsequenzbasierte Modell sehr, sehr gut geeignet, um einen Plan aufzusetzen und nichts Wesentliches zu vergessen. Das ist der Hintergrund und die Besonderheit des konsequenzbasierten Modells.

Aufgaben der Einsatzleitung

Detlef Cwojdzinski:
[9:15] Mit dem Plan arbeiten jetzt auch die erste Führungskraft oder die ersten Führungskräfte, die die operativen Aufgaben in der eigenen Einsatzleitung übernehmen irgendwo ein Stück weit. Das heißt auch, dass diese Einsatzleitung eigentlich in eine solche Richtung denken muss – weil danach ist ja auch der Plan geschrieben – und dann ihre Entscheidung eben auch entsprechend so umsetzen muss. Kannst du mal die Aufgaben dann beschreiben – so ein bisschen hast du's ja vielleicht sogar schon gemacht – die die operative Einsatzleitung in einer solchen Situation als Erstmaßnahmen übernehmen müsste?

Thomas Wurmb:
[9:47] Ja, sehr gerne. Die operative Einsatzleitung, die sich rekrutiert aus Kräften, die vor Ort sind. Ich glaube, das ist ganz wichtig zu erwähnen, dass eine operative Einsatzleitung ad hoc zusammenkommen muss. Die kann nicht erst von außerhalb alarmiert werden, weil sich eine Lage möglicherweise eben so schnell entwickelt, dass man sofort Führung braucht. Dementsprechend sind das Kräfte, die sich vor Ort befinden. Die müssen vorher definiert sein und es braucht einen Leiter der operativen Einsatzleitung, der sogenannte medizinische Einsatzleiter, der dann das Sagen hat.
Der erste Schritt der Aufgabe ist tatsächlich, wie du's gerade gesagt hast, eine Lageanalyse: Welches Schadensereignis liegt vor? Welche Auswirkungen hat das für uns? Wie viel Zeit haben wir für die Vorbereitung? Und dann eine entsprechende Lagebeurteilung der Lage außen, aber natürlich auch der eigenen Lage: Welche Kräfte haben wir vor Ort? Wie ist unser Programm?
[10:49] Was müssen wir an Sofortmaßnahmen treffen? Und hier sind wir eben bei diesen Sofortmaßnahmen, um akut die Behandlungskapazität zu erhöhen. Also all das vorzubereiten und möglichst schnell umzusetzen, was eine Vielzahl von Patienten – wenn wir bei einem Massenanfall von Patienten bleiben – in kürzester Zeit so sortiert, dass wir unsere Behandlungskapazität erhöhen und die ersten Patienten oder auch alle Patienten adäquat versorgen können.

Zusammensetzung der operativen Einsatzleitung

Detlef Cwojdzinski:
[11:18] Es gibt ja für diese operative Einsatzleitung in Deutschland auch unterschiedliche Modelle. Manche arbeiten ja nur mit einem medizinischen Einsatzleiter, andere haben dann noch neben dem Arzt die Pflege und die Technik dabei. Gibt's ein Modell, was du favorisieren würdest?

Thomas Wurmb:
[11:34] Absolut. Also wenn es die Größe des Krankenhauses und auch die Personalstruktur des Krankenhauses hergibt, sollten in der operativen Einsatzleitung immer Vertreter der Pflege sein, Vertreter der Ärzteschaft – und daraus sich eben der medizinische Einsatzleiter rekrutieren. Und auch Logistik und Technik sind enorm wichtig, weil natürlich im Hintergrund Prozesse laufen, Absicherungen laufen müssen, Absperrungen laufen müssen, Materialtransport muss organisiert werden. Und es hat den riesen Vorteil, wenn man diese Technik und Logistik mit einbindet, dass man hier sofort auch entsprechende Unterstützung hat. Wichtig ist, diese Kräfte im Vorfeld einzubinden, sodass man im Einsatz nicht erst erklären muss, was die Aufgaben sind – sondern diese Vertreter auch in die Planung mit einzubeziehen, damit man im Einsatzfall nicht erst alles erklären muss, sondern die Leute Bescheid wissen.

Zusammenspiel mit der Krankenhauseinsatzleitung

Martin Weber:
[12:30] Das hört sich ja nach einer ziemlichen Herausforderung an, bisschen mit dem vergleichbar, was man auch vor Ort in der präklinischen Rettung hat: dass sich da ja so eine Art ad hoc-Führungsstruktur mit aufbaut. Aber es gibt ja jetzt auch die eigentliche Krankenhauseinsatzleitung. Wann kommt die denn zum Zuge? Wie sieht es dann mit den Schnittstellen und den Übergaben und dem Übergang überhaupt aus? Weil wenn du jetzt nur eine operative Einsatzleitung hast, die sich aufgebaut hat, dann stelle ich mir das schwierig vor, das Ganze dann in die reguläre Krankenhauseinsatzleitung zu überführen. Oder ist das eigentlich ganz einfach und geregelt?

Thomas Wurmb:
[13:03] Also, wenn man's geregelt hat, ist es einfach – so würde ich es sagen – und wenn man's dann vielleicht auch gemeinsam geübt hat. Aber der Punkt ist natürlich ein ganz, ganz wichtiger: Die Frage, wann wird die Krankenhauseinsatzleitung erstmals alarmiert? Wie setzt sie sich zusammen und wo trifft sie sich?
Es gibt einen Lösungsvorschlag, der sich nicht an Zahlen orientiert, weil Zahlen für jedes Krankenhaus unterschiedlich sind, also beispielsweise ab zehn Patienten wird die Krankenhauseinsatzleitung alarmiert, sondern eben auch hier an einer Qualität. Wenn man zum Beispiel sagt, die Krankenhauseinsatzleitung wird alarmiert, wenn die Behandlungskapazität des Krankenhauses akut so überlastet ist, dass weitere übergeordnete strategische Maßnahmen erforderlich sind, wird die Krankenhauseinsatzleitung alarmiert. Zweites Kriterium wäre zu sagen, wenn die Funktionalität beeinträchtigt ist, also auch hier wieder Elemente des konsequenzbasierten Modells: Wenn die Funktionalität in Teilen oder des gesamten Krankenhauses beeinträchtigt ist, ist das ein Kriterium, die Krankenhauseinsatzleitung zu alarmieren.
Und beispielsweise auch ein, wie ich finde, ganz wichtiges Kriterium sind öffentlichkeitswirksame Ereignisse, also beispielsweise der Diebstahl, also die Entführung eines Säuglings im Kreißsaal. Das ist kein Diebstahl, das ist eine Entführung. So was zum Beispiel erfordert ganz viel Hintergrundarbeit, vielleicht auch Pressearbeit, und die kann eine operative Einsatzleitung nicht leisten. Dementsprechend wäre auch hier ein gutes Kriterium, die Krankenhauseinsatzleitung zu alarmieren.
Der Alarmierungsweg muss klar sein, es braucht klare Alarmierungsstrukturen. Zum Beispiel eine SMS-Alarmierung, über eine SMS-Gruppe, über eine WhatsApp-Gruppe, vielleicht auch über die automatischen Alarmserver – wenn ein Krankenhaus über so was verfügt – oder über E-Mail. Also man kann auch verschiedene Wege gehen. Man kann die Wege auch alle parallel machen, was ich für sinnvoll halte, um Redundanzen zu schaffen. Und dann muss für die Krankenhauseinsatzleitung und die Mitglieder klar definiert sein: Wenn ich alarmiert werde, dann habe ich ein klares Handlungsmuster. Dann frage ich nicht zehnmal nach und rufe an: muss ich wirklich? Sondern dann weiß ich, wo ich mich hinbegebe, dass ich da innerhalb von einer halben Stunde am besten sein sollte und dann trifft man sich im Stabsraum und dann kommt man zusammen.
Die nächste Frage war, wie die Übergabe erfolgt. Die Übergabe muss durch den medizinischen Einsatzleiter an den Leiter des Stabes erfolgen, der die Lage dargestellt bekommt und dann den Einsatz übernimmt und ab diesem Augenblick hat die Gesamtverantwortung und die Gesamtführungskompetenz der Leiter der Krankenhauseinsatzleitung mit seinem Krisenstab, die komplette Krankenhauseinsatzleitung.

Martin Weber:
[15:48] Danke dir. Du hast gerade eben gesagt, die Vorlaufzeit, die die Kollegen haben, ist schon beachtlich – du hattest gerade eine halbe Stunde genannt. Vor dem Hintergrund gehe ich davon aus, dass man versuchen sollte, die Krankenhauseinsatzleitungen dann auch frühzeitig zu alarmieren. Wenn man also Anzeichen dafür hat, dass das zum Beispiel nicht nur ein Massenanfall – weil das Beispiel vorhin schon gekommen ist – mit fünf Patienten sein sollte, sondern wenn wir wissen, da kommt noch ein bisschen mehr, weil es halt nicht nur ein kleiner Verkehrsunfall war, sondern ein größerer Verkehrsunfall mit irgendwelchen größeren Personentransportmitteln. Und dass man sagt: „Okay, ich habe die ersten Anzeichen dafür, dass es eine große Lage werden könnte“ und dann schon nachalarmiert oder wie siehst du das?

Thomas Wurmb:
[16:33] Also prinzipiell bin ich der Meinung, dass Strukturen, die selten zum Einsatz kommen, großzügig alarmiert werden sollten, damit man die Wege definiert, damit man das übt, damit man's trainiert. Wenn man zusammenkommt und sitzt im Stabsraum und der medizinische Einsatzleiter kommt und sagt: "Oh, es hat sich anders rausgestellt, es war nicht die befahrene Autobahnbrücke, die eingestürzt ist, sondern es war nur die Baustelle nebendran", dann geht man halt wieder. Ich finde das nicht weiter tragisch.
Und dementsprechend wäre ich für eine relativ großzügige Alarmierung – auch vor dem Hintergrund, den du gerade erwähnt hast, dass man dann, wenn man es wirklich braucht, die Leute dahat und nicht dann nochmal wesentlich Zeit verloren hat. Deswegen wäre ich für eine großzügige Alarmierung. Und aus meiner Sicht ist das auch der Vorteil der qualitativen Definition der Alarmierungskriterien: dass man das einfach auch entsprechend auslegen kann als medizinischer Einsatzleiter und es dann auch großzügig entscheiden kann.

Zusammensetzung Einsatzleitung

Detlef Cwojdzinski:
[17:31] Thomas, dann müssten wir jetzt noch zur Gliederung von so einer Ersatzleitung kommen. Ich denke, da hat sich inzwischen ja auch deutschlandweit einigermaßen ein Standard implementiert. Aber vielleicht sagst du einfach auch noch mal, wie ihr eure Einsatzleitung gegliedert habt, welche Mitarbeiter, welche Mitarbeiterinnen denn in welche Funktion am besten hineinpassen. Manche haben ja Vorqualifikationen, die man denn auch im Stab nutzen kann. Und damit verbunden natürlich auch, welche Aufgaben fallen denn für diese Einsatzleitung eventuell im Einsatz an? Worauf muss man sich vorbereiten?

Thomas Wurmb:
[18:02] Absolut. Was ich jetzt hier sage, gilt mal für ein großes Krankenhaus. Weil die kleinen Krankenhäuser natürlich viel mehr Schwierigkeiten haben werden, einen solch breiten Stab dann auch wirklich zu besetzen und hier kann man dann vereinzelte Stabsfunktionen auch zusammenfassen. Das möchte ich einfach im Vorfeld schon sagen, dass man, wenn man jetzt als Kreiskrankenhaus diesen Beitrag hört, nicht gleich sagt: "Ja, das funktioniert bei uns ja gar nicht", sondern da kann man sich dann auch überlegen, wie das geht.
Also das, was ich jetzt sage, gilt für ein großes Klinikum und hier gibt es eben die klassischen oder sollte man die klassischen Stabsfunktionen S1 bis S6 wählen. S1 ist letztendlich derjenige, der zum Thema Personal das Ressort hat, aber auch zur Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Stabes. S2 ist der klassische Lagedienst sozusagen, der die Lagefeststellung, die Lagedarstellung, die Einsatzdokumentation macht. S3 ist derjenige oder diejenige, die dann den Einsatz letztendlich strategisch führt, während er operativ von der, nach wie vor natürlich im Betrieb befindlichen, operativen Einsatzleitungen geführt wird.

Detlef Cwojdzinski:
[19:19] Es wird ja häufig auch immer noch diskutiert, ob der operative Einsatzleiter dann in die Einsatzleitung rutscht oder nicht, aber du hast dich dazu klar positioniert. Du siehst das nicht so?

Thomas Wurmb:
[19:29] Das ist eben auch eine Frage, wie viel Personal habe ich zur Verfügung? Wenn ich genug habe und qualifizierte Leute habe und kann S3 im Stab einzeln besetzen, dann ist es durchaus absolut sinnvoll den Leiter der operativen Einsatzleitung dort zu lassen, wo er den Einsatz vorne sozusagen führt. Wenn ich kein Personal habe, kann man sich überlegen, den medizinischen Einsatzleiter in S3 oder als S3 zu integrieren, aber das halte ich für kritisch, weil dann letztendlich hier zwei Sachen vermischt sind – nämlich das Strategische und das Operative. Und das ist dann letztendlich ein Spagat, der den Einsatz gefährdet. Also wenn's irgendwie geht, denke ich, sollte der medizinische Einsatzleiter das weitermachen und S3 als eigene Funktion oder als eigenes Ressort im Stab etabliert sein.

Detlef Cwojdzinski:
[20:19] Okay, du warst beim S4, ich hatte dich unterbrochen.

Thomas Wurmb:
[20:21] Alles gut. S4 ist die Versorgung. Letztlich also die gesamte Logistik mit Material und dazu zählt auch die Apotheke zum Beispiel. Also da kann man sich auch überlegen, wenn man einen Krankenhausapotheker hat, dass man den mit in den Stab reinnimmt. S5, ganz wesentlich und wichtig, ist die Presse und die Medienarbeit. Das haben wir jetzt einfach im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie gesehen, wie sehr man überhäuft wird mit Presseanfragen und wie viel Zeit das kostet diese zu beantworten. Und man muss sie beantworten. Wenn man sie nicht beantwortet, wird man sofort beackert – und nicht positiv beackert. Von daher: Die müssen beantwortet werden und dafür braucht's einfach jemand, der die Presse lenkt und leitet und versorgt. Total wichtig auch ein Pressezentrum zum Beispiel aufzumachen oder einen kleine Presseinformationsstelle, wie auch immer, die dann letztlich von S5 betreut und versorgt wird. Also ein ganz wesentlicher Punkt.
Und ich hatte vorhin das Beispiel IT-Ausfall genannt. Das ist S6. Also die ganze Technik, die ganze IT, die Informationstechnologie muss im Stab vertreten sein. Aber nicht nur, wenn die halt hier ausgefallen ist. Auch im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie hat unsere IT so Großartiges geleistet. Die ganze Darstellung, die ganze Patientendarstellung, die Bettendarstellung. Dass aus dem Krankenhausinformationssystem, die Informationen für IVENA und DIVI rausgezogen werden, dass das automatisiert ist. Dashboard-Darstellung, Patientenmanagement, also welche Patienten dürfen besucht werden, welche nicht? Wo sind Ausnahmeregeln? Das muss ja alles digitalisiert werden. Dementsprechend hat die IT eine riesen Rolle im Stab und sollte als S6 unbedingt vertreten sein.

Martin Weber:
[22:07] Danke schön. Du hast jetzt die Funktionen sehr gut aufgegriffen. Bei dir in deinem Krankenhaus, hast du Vorschläge – vielleicht auch an die Zuhörerschaft – wer prädestiniert ist für welche Rolle? Du hattest jetzt für den S4 schon mal den Apotheker angesprochen. Wer macht das bei euch? S5, so wie es sich jetzt angehört hat, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wahrscheinlich, weil die ja einfach tagtäglich mit den Medien zu tun haben und auch die Kontakte nach außen pflegen. Vielleicht wenn du da noch so ein, zwei Sätze zu sagen könntest?

Thomas Wurmb:
[22:36] Ja, also fange ich einfach vorne an. S1 macht bei uns die Pflegedirektion, weil letztendlich da viel Personalmanagement ist, häufig Personalengpass, aber auch letztendlich das Know-how zum übergeordneten Personalmanagement da ist. Dementsprechend macht es bei uns die Pflegedirektion, die dann auch für die Arbeitsfähigkeit im Stab sorgt, die dafür sorgt, dass alles auch funktionstüchtig ist und so. Also das ist bei uns für die Pflegedirektion vorgesehen.
Bei der Lagedarstellung haben wir jemanden, – und das ist ein bisschen ein Spezifikum hier bei uns – wir haben eine Stabsstelle Medizinsicherheit – da ist der Leiter der Stabsstelle Medizinsicherheit drin und dann letztendlich noch ein Referent des ärztlichen Direktors, der 30 Jahre LNA ist, viel, viel, viel Erfahrung hat und hier bei uns S2 entsprechend mitversorgt.
S3 ist bei uns der Leiter der Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin. Das bin also ich. Die Verbindung zum operativen Einsatz läuft über mich. Und, ich erwähn's schon an dieser Stelle: S2/S3 können wir zusammenfassen, kann sich gegenseitig ergänzen, kann jeweils auch der eine das andere machen, sodass wir hier also jeweils auch Redundanzen haben.
Der Versorgungsbereich ist bei uns abgedeckt durch die Leiter der Medizintechnik, Leiter der Logistik. Also wir haben immer die Führungskräfte im Stab dieser großen Ressorts. Und wir sind halt ein Universitätsklinikum, also wir haben einfach da sehr starke Bereiche mit entsprechenden Führungskräften, die dann im Stab vertreten sind. Wie wichtig das im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie war, brauche ich nicht zu sagen. Also auch hier sollte man unbedingt die Versorgung immer mit drin haben im S4.
Dann die Presse und Medienarbeit – auch hier wieder ein Spezifikum, das hat sicherlich nicht auch jedes Krankenhaus: Wir haben eine eigene Stabsstelle für Pressearbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Medienarbeit – sowohl interne Kommunikation als auch externe Kommunikation. Beide sind hier entsprechend vertreten.
Und wir haben eine eigene große Informatik- und IT-Abteilung. Hier sind jeweils die Leiter und die Stellvertreter im Stab vertreten.

Training

Martin Weber:
[24:43] Dankeschön für die Erläuterung. Das Ganze hört sich ja jetzt für mich als NichtKlinik-Experte so an, als wenn das mit dem Alltagsgeschäft der eigentlichen Funktionen nicht so wirklich viel zu tun hat. Wie sorgt ihr denn dafür, dass die Leute in der Lage wirklich wissen, was sie zu tun haben? Und wer ist dafür verantwortlich die Einsatzleitung zu trainieren?

Thomas Wurmb:
[25:05] Also, wenn wir das jetzt vor 14 Monaten gesagt hätten, hätte ich was ganz anderes geantwortet als jetzt 14 Monate später, nach der Erfahrung in der Pandemie. Hier haben wir täglich Klinikumseinsatz- oder Krankenhauseinsatzleitung trainiert und geübt und jeder weiß sofort, wo sein Platz ist. Jetzt ziehen wir das mal ab und sagen
[25:29] wir sind 14 Monate vorher. Da ist es natürlich essenziell, dass man sich vorher darüber Gedanken macht: Wer hat welche Aufgaben., Dass man Stabsrahmenübungen macht. Dass man sich mal fünf Stunden einschließt und einen Fall durchsimuliert. Das sollte regelmäßig gemacht werden, damit sich die Leute in diese Position finden, dass man sich kennt, dass man nicht im Vorfeld dann erstmal drei Stunden braucht, um sich die Namen der anderen zu merken im Einsatz, sondern dass man sich kennt, dass man weiß, wer ist für was zuständig und am besten noch, wie tickt jeder, damit man auch auf die Eigenheiten Rücksicht nehmen kann oder die nicht im Einsatz ausfechten muss. Ich will damit sagen, es ist extrem wichtig, dass man im Vorfeld bei der Erstellung des Alarm- und -einsatzplanes mit diesen Leuten intensiv zusammenarbeitet.
Die Zeiten, wo es einen katastrophenschutzbeauftragten Arzt gibt, der alles alleine macht, die müssten sowieso vorbei sein. Es gibt einen, der ist sozusagen der Motor, der Kümmerer, und dann gibt's all die anderen, die mithelfen. Es ist so komplex, die einzelnen Aufgabenbereiche sind komplex, die einzelnen Ressorts sind komplex. Deswegen muss man sich im Vorfeld kennen. Und wenn man all diese Menschen, die da S1 bis S6 vertreten im Einsatzstab oder im Krisenstab, vorher mit involviert und mit ihnen arbeitet, dann hat man auch im Einsatz das Problem nicht. Also ich fasse zusammen: üben, Stabsrahmenübungen und vorher gemeinsam am Plan arbeiten und dann hat jeder das Verständnis dafür.

Dank & Abschied

Martin Weber:
[26:58] Thomas, ein ganz herzliches Dankeschön von mir, dass du dir heute die Zeit genommen hast für uns und dein Wissen mit uns geteilt hast und für die hervorragenden Ausführungen aus meiner Perspektive. Auch ein herzliches Dankeschön an meine Kollegen, die mit mir dieses Interview durchgeführt und vorbereitet haben und an Sie, liebe Zuhörer, für Ihre Zeit und Ihr Interesse an unserem Podcast. Wir hören uns wieder zum nächsten Podcast in dieser Serie und bis dahin bleiben Sie gesund und bis zum nächsten Mal. Danke an euch, liebe Kollegen.

Detlef Cwojdzinski:
[27:28] Ja, auch von meiner Seite: Macht's gut und danke dir, Thomas, dass du dabei warst.

Thomas Wurmb:
[27:32] Ja, sehr, sehr gerne und ich wünsche einen schönen Tag. Tschüss.

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