Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 09 – Angehörigenbetreuung, PSNV

Gast: Dr. Dietmar Sander, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Katastrophenschutzbeauftragter im Sankt Getrauden-Krankenhaus in Berlin

Dr. Sander berichtet vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie und vom Terroranschlag am Breitscheidplatz in Berlin, welche Rolle die psychosoziale Betreuung von PatientInnen und Angehörigen, aber auch von MitarbeiterInnen bei besonderen Schadenslagen, aber auch im klinischen Alltag spielt. Und er gibt Hinweise wie ein psychosoziales Krisenmanagement als Bestandteil der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung aufgebaut werden kann.

Aufnahme am 28. April 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 09 – Angehörigenbetreuung, PSNV

Dauer: 12:15 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Ein herzliches Willkommen zurück zur neunten Episode unserer Podcastserie zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute befassen wir uns mit dem Thema Angehörigenbetreuung und psychosoziale Notfallversorgung, kurz PSNV. Dazu unser Gast heute: Herr Dr. Dietmar Sander. Er ist Chefarzt in der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie sowie Katastrophenschutzbeauftragter am Sankt Getrauden-Krankenhaus in Berlin. Dietmar, schön, dass du da bist und danke, dass du dir Zeit für uns nimmst.

Dietmar Sander:
[0:34] Danke für die Einladung. Spannendes Thema. Ich freue mich, dass ich dabei sein kann.

Martin Weber:
[0:39] Mit mir zusammen am Mikrofon als Interviewpartner begrüße ich dich, lieber Detlef. Du als Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz bist ja seit vielen, vielen Jahren eine der prägenden Kräfte im Bereich Krankenhausalarm- und -einsatzplanung.

Detlef Cwojdzinski:
[0:52] Ja, ich freue mich wieder dabei zu sein. Hallo Martin, hallo Dietmar.

Martin Weber:
[0:55] Mein Name ist Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zuständig für die Ausbildung im Bereich Krankenhausalarm- und -einsatzplanung.

Psychosoziales Krisenmanagement

Dietmar, gehört das psychosoziale Krisenmanagement inzwischen auch zum klinischen Alltag? Welche Vorkehrungen sind für die eigenen Mitarbeiter bei euch getroffen?

Dietmar Sander:
[1:17] Ja, ich möchte sogar sagen, das psychosoziale Krisenmanagement ist klinischer Alltag. In der alltäglichen Situation auf den Stationen kommt es immer wieder zu Situationen, wo man entweder den Mitarbeitern oder auch vor allen Dingen den Patienten beistehen muss. Für solche Situationen ist durch die Zentrenbildung und bei Zertifizierung ja teilweise sogar vorgeschrieben, dass Abteilungen das vorhalten müssen. Als Beispiel das Brustzentrum oder das Darmzentrum. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Kommunikation des Angebotes in die einzelnen Dienstbereiche und dass diese Angebote eben nicht nur für die Patienten gelten, sondern auch für die Mitarbeiter.

Vorsorge PSNV

Detlef Cwojdzinski:
[1:57] Ja, da kommen wir ja zu unserem eigentlichen Thema, Dietmar, einem Massenanfall von Verletzten zum Beispiel oder auch anderen Szenarien. Neben dem eigenen Personal, mit dem wir ja jetzt gestartet sind, gibt's aber natürlich auch die Unfallopfer selber, sowie Angehörige oder gegebenenfalls Hinterbliebene, die zu betreuen sind. Welche Vorsorge würdest du empfehlen, im klinischen Bereich dafür zu treffen?

Dietmar Sander:
[2:18] Also die PSNV muss integraler Bestandteil einer jeden Krankenhausalarm- und -einsatzplanung sein. Und wenn man sich in die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung zu diesem Thema hereinarbeitet, stellen sich natürlich die klassischen Fragen: wer und wo?
Und bei der Frage "wer", stellt sich ja wieder die Anschlussfrage: Ist derjenige auch im Haus? Muss ich den extra alarmieren? Also müssen im entsprechenden Kreis, der sich anbietet, wie aus den Zentren eben die Psychologen, die dort notwendig sind, oder der Hospizdienst oder, in einem Krankenhaus mit konfessionellem Träger, eine Seelsorge – also dieser Personenkreis muss auch in die Alarmierungsliste rein.
Es muss im Krankenhaus der Ort festgelegt werden, wo die PSNV stattfindet. Auch da muss man auf Befindlichkeiten achten. Ich erinnere mich noch gut, dass wir das einfach wie selbstverständlich bei uns in der Alarmplanung in die Kapelle gelegt hatten. Nach einer Alarmübung, die wir gemacht haben, wurde das dann von euch, Detlef, im Senat kritisiert, da es dann vielleicht doch zu emotional beladen ist. Wir haben's dann geändert: Es ist jetzt in der Nähe von der Cafeteria und etwas neutraler gehalten, sage ich mal so. Man muss auch darauf achten, dass das ja auch ein hochsensibler Bereich ist, der abgeschirmt werden muss durch einen entsprechenden Ordnerdienst.
Und was man auch nicht unterschätzen darf, ist, dass die Bereitstellung eines solchen Dienstes, eines solchen Angebotes, im Alarmfall ein durchaus zeitkritisches Element ist. Ich verweise nur auf den besorgten Angehörigen. Auch da, Detlef, weißt du von den Übungen: Darsteller, die da bisweilen schon recht energisch am Sichtungsblatt ihr Unwesen treiben können.

Hotline

Detlef Cwojdzinski:
[3:52] Du sagtest gerade die Personalintensität dieser Aufgabe – die wird ja dann vor allen Dingen auch personalintensiv, wenn man an das Thema Hotline denkt. Ich bin immer eigentlich eher ein Feind von Hotlines gewesen, weil wenn man's macht, muss man's gleich richtig machen und hat eine hohe Personalbindung. Wie steht ihr dazu? Habt ihr das vorbereitet?

Dietmar Sander:
[4:11] Na ja, wir haben es insofern vorbereitet, dass wir ja, im Rahmen zum Beispiel vom Massenanfall von Verletzten, die Hotline, die extern durch die Polizei gebildet wird, mit den entsprechenden Daten über die Verletzten, die ins Haus gekommen sind, "füttern" müssen. Das ist ja das Berliner BPAS oder jetzt GSL.net. Das müssen wir natürlich bedienen.
Dass wir intern eine Hotline aufbauen, ist meist auch gar nicht notwendig, beziehungsweise wird uns sogar gesagt, dass wir das gar nicht machen sollen als Krankenhaus, sondern dass das zentral laufen soll über Strukturen außerhalb – wie zum Beispiel beim MANV-Fall über die Polizei oder bei anderen Lagen zum Beispiel auch über den Gesundheitssenat, also über die Behörde, das Gesundheitsamt et cetera. Sodass wir extra für uns zu sagen: "Okay, wir bauen hier eine Hotline auf", dazu haben wir jetzt erstmal primär keinen Plan.

Praxiserfahrungen

Martin Weber:
[5:05] Du hast da jetzt Übungen und eure eigenen Vorbereitungen erwähnt. Natürlich ist es was ganz, ganz anderes, wenn man das Ganze in der Praxis umsetzen muss. Welche Praxiserfahrung habt ihr denn gesammelt? Beziehungsweise musstet ihr sammeln? Mir fällt dazu zum Beispiel eure Erfahrung aus dem Terroranschlag am Breitscheidplatz ein. Aber auch die Pandemie-Situation aktuell wird natürlich erhebliche Herausforderungen für den Bereich mit sich bringen, oder?

Dietmar Sander:
[5:29] Ja, auf jeden Fall. Also nur mal zur Situation Breitscheidplatz: Also das Sankt Gertrauden-Krankenhaus ist zentral in der City-West und ist eigentlich eines der Krankenhäuser, das am nächsten zum Breitscheidplatz liegt. Und so war's dann auch, dass wir also schon die ersten Verletzten ins Haus transportiert bekommen haben noch bevor irgendein offizieller Alarm über‘s Alarmfax unser Haus erreicht hat.
Insofern waren wir da voll im Brennpunkt und haben auch entsprechende Situationen erlebt. Rote Patienten, der Kampf um das Leben dieser Patienten, der dann auch bisweilen frustan war. In der unmittelbaren Situation ist uns da kein Mitarbeiter weggebrochen.
Nichtsdestotrotz war natürlich klar, dass wir eine Bereitschaft dort auch in Sachen PSNV bereitstellen müssen. Deswegen wurde auch aus dem entsprechenden Mitarbeiterkreis eine Alarmierung vorgenommen und die waren auch vor Ort. Wir haben dann sofort darauf reagiert am nächsten Tag, dass wir gesagt haben, nochmal erinnert haben: „wir haben ein Angebot, niederschwellig kann sich jeder melden, völlig unkompliziert.“ Wir haben den Personenkreis mit den Kontaktdaten entsprechend benannt.
Wir haben aber auch mitgekriegt – wie das häufig auch üblich ist – dass in Kleingruppen viel darüber geredet wurde und dann untereinander die Beteiligten dort durch das Reden und Zuhören einfach auch viel aufgearbeitet haben. Wir haben dann nach einer gewissen Zeit noch einmal alle Beteiligten eingeladen zu, einfach zu einer, ich nenn's mal so, zu einer Generalaussprache. Wo Dinge nochmal angesprochen wurden, auf Probleme hingewiesen wurde und nochmal Hinweise von uns gegeben wurden, welche Angebote es gibt und so weiter.

Detlef Cwojdzinski:
[7:09] Und wie sah's denn in der Pandemie aus? Habt ihr da auch besondere Vorsorge getroffen?

Dietmar Sander:
[7:14] Ja, letztendlich haben wir's da genauso gemacht, dass wir erstmal das grundsätzliche Angebot kommuniziert haben. Und die Probleme, die dann waren, waren die Arbeitssituationen, denen sich die Mitarbeiter teilweise ausgesetzt gesehen haben. Ich nenne mal das Problem Ressourcen, persönliche Schutzausrüstung. Auch diese Probleme und die Ängste, die dort entstanden sind, wurden durch die Angebote, die wir hatten, durchaus bedient.
Nach der ersten Welle, sozusagen als sich die Lage ein bisschen beruhigt hat, haben wir auch wieder so eine Aussprache gemacht mit allen Beteiligten, die an den Brennpunkten waren und da war ein ganz, ganz, ganz großes Thema die Not, die auch die Mitarbeiter mit den Patienten: Dieser absolute Lockdown, das Besuchsverbot und die Sterbebegleitung, die sie dann auf den Intensivstationen oder auch auf der normalen Isolierstation dann leisten mussten. Das war doch sehr, sehr belastend für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sodass da diese Angebote dann auch in dieser Beziehung wahrgenommen wurden.

Phasen der Vorbereitung

Detlef Cwojdzinski:
[8:15] Die Unterstützungsangebote, die wir jetzt an dem Beispiel von Pandemie und Massenanfall dargestellt haben, sind ja das eine. Wenn du dich jetzt vorbereitest auf das Thema psychosoziale Notfallversorgung, muss man ja auch kurzfristig gucken, man muss mittelfristig schauen und auch langfristig schauen. Gibt's da bestimmte Phasen, die ihr irgendwie betrachtet, wenn ihr euch da vorbereitet?

Dietmar Sander:
[8:38] Du hast es ja schon skizziert und wenn man das so ein bisschen konkretisiert, ist natürlich erst mal die Phase vor dem Einsatz. Wie man sich eben auf Situationen am besten vorher in den Grundstrukturen vorbereitet. Das bedeutet eigentlich die Vorbereitung, was dieses spezielle Thema angeht: Man muss das Angebot kommunizieren. Man muss sagen: Was ist überhaupt vorhanden? Worauf kann man zurückgreifen? Man kann Fort- und Weiterbildung in den einzelnen Bereichen machen, die man als Hotspot identifiziert hat. Man kann es aber auch allgemein auf alle Mitarbeiter ausbreiten, auch das ist natürlich möglich. So allgemeine Dinge, klingt so ein bisschen banal, ist aber in der konkreten Situation ganz wichtig: Wie ist das Team organisiert? Wie ist dort das Arbeitsklima?
Die nächste Phase ist ja während des Einsatzes, hatte ich ja vorhin schon erwähnt. Alarmierung nur mal als Stichwort.
Dann die Tage und Wochen danach, die Aufarbeitung, das hatte ich ja auch schon eben dargelegt.
Was vielleicht jetzt noch, wenn man die Phasen so einteilt, als vierte Phase hinzukommt, dass man so nach einer Zeit von vier bis sechs Wochen sagt: "Okay, welche Lehren müssen wir daraus ziehen? Müssen wir Arbeitssituation neu justieren, damit dann entsprechende Situationen besser bewältigt werden können?" Oder wenn sich Betroffene als wirklich stark belastet und vielleicht tatsächlich auch gesundheitlich geschädigt darstellen, dass man die Hilfsangebote entsprechend weitergibt an die Mitarbeiter.

Vorbereitung der Mitarbeitenden

Martin Weber:
[10:08] Das ist jetzt alles ganz toll, was du beschrieben hast, wie man in der aktuellen Situation damit umgeht. Aber wie kannst du denn deine Mitarbeiter auf eine solche anspruchsvolle Situation überhaupt vorbereiten? Weil es ist ja – und ich komme ja selber aus dem Einsatzdienst – die Vorbereitung auf das Unplanbare ein Stück weit. Wie macht ihr das? Das ist ja eigentlich das Schwierigste dabei.

Dietmar Sander:
[10:31] Das ist ja genau die Schwierigkeit in dem ganzen Themenkomplex, den wir ja in dieser Podcastreihe behandeln. Also sich auf etwas vorbereiten, was man eigentlich ja gar nicht haben will. Und von dem man eigentlich ja will, dass es gar nicht eintritt.
Es gibt Fort- und Weiterbildungsangebote, die existieren und werden gerade auch von den Hilfsorganisationen angeboten. Und da muss man einfach das Personal auch für sensibilisieren an den Hotspots, wie zum Beispiel in der ZNA oder auch das Intensivpersonal, dort die Angebote, die bestehenden, dann auch wahrzunehmen.
Man kann das auch so ein bisschen verpacken in der konkreten Situation, die ja zum Beispiel in der ZNA fast täglich erlebt wird in Sachen Gewaltdeeskalation: das ist ja auch so ein Gebiet, wo man dann den Schritt auch weitergeht – und sagt auch bei anderen Krisensituationen, beim Massenanfall von Verletzten zum Beispiel, dass man da so ein bisschen sensibilisiert wird, auch da den Schritt weiter zu gehen.
Die Kommunikation, die Hinweise und immer wieder zu sagen: "Es gibt diese Angebote. Nehmt sie auch wahr, wenn ihr sie braucht und zwar nicht nur in der Krisensituation in Folge einer besonderen Lage, sondern auch in der alltäglichen Situation". Dass das einfach im Krankenhaus bekannt ist und dann auch in Anspruch genommen wird. Auch in der alltäglichen Situation, wenn's notwendig ist.

Dank & Abschied

Martin Weber:
[11:47] Lieber Dietmar, ganz lieben Dank, dass du dir heute die Zeit für uns genommen hast und uns an deinen Erfahrungen und den ganzen Informationen hast teilhaben lassen. Lieben dank dir.

Dietmar Sander:
[11:56] Ja, kein Problem.

Martin Weber:
[11:57] Sehr geehrte Zuhörer von meiner Seite aus ein herzliches Danke für Ihr Interesse und dass Sie uns zugehört haben. Wir hören uns wieder zum nächsten Podcast auf dieser Seite. Bis zum nächsten Mal, Dankeschön und auf Wiederhören.

Dietmar Sander:
[12:09] Danke.

Detlef Cwojdzinski:
[12:10] Ja, macht es gut miteinander.

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