Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 11 – Räumung & Evakuierung

Gast: Dr. Felix Kolibay, ärztlicher Notfallkoordinator des Universitätsklinikums Köln und Vorstandsmitglied der DAKEP

Wo ist der Unterschied zwischen einer Räumung und einer Evakuierung? Welche Szenarien können zu einer Räumung oder Evakuierung des Krankenhauses führen? Welche vorbereitenden Maßnahmen lassen sich treffen? Diese und weitere Fragen beantwortet Dr. Kolibay in dieser Folge unseres Podcasts „Krankenhausalarm- und -einsatzplanung“.

Aufnahme am 19. Mai 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 11 – Räumung & Evakuierung

Dauer: 11:38 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Liebe Zuhörer, herzlich willkommen zu unserer elften Episode der Podcastreihe zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute zu dem Themenschwerpunkt Räumung und Evakuierung. Dazu begrüße ich ganz herzlich unseren Gast Dr. med. Felix Kolibay. Er ist der ärztliche Notfallkoordinator der Unikliniken in Köln und Vorstandsmitglied der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Krankenhaus-Einsatzplanung. Felix, danke, dass du dir die Zeit für uns nimmst.

Felix Kolibay:
[0:31] Ja, sehr gerne. Schönen guten Tag.

Martin Weber:
[0:33] Mit mir als Interviewpartner begrüße ich wieder ganz herzlich Detlef Cwojdzinksi, der als langjähriger Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz den Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung maßgeblich mitgeprägt hat. Detlef, hallo.

Detlef Cwojdzinski:
[0:47] Hallo Martin, hallo Felix.

Martin Weber:
[0:49] An der Technik begrüße ich Philipp Schunke.
Mein Name ist Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zuständig für die Ausbildungen im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz, unter anderem auch für die Krankenhausalarm- und -einsatzplanung.

Szenarien Räumung und Evakuierung

Felix, welche Szenarien für eine Räumung beziehungsweise Evakuierung im Krankenhaus fallen dir ein? Was kann dazu führen und was sind denn jetzt nochmal die Unterschiede?

Felix Kolibay:
[1:19] Ja, für uns als Krankenhaus und Kritische Infrastruktur sind die üblichen internen Gefahren, die solche Szenarien auslösen können: Feuer, also Brandereignisse, – auch gar nicht so selten in Deutschland, ich glaube, man sagt im Schnitt alle zwei Wochen kommt es zu einem relevanten Brandereignis in einem deutschen Krankenhaus. Wasser – nicht zu unterschätzen – Wasserschäden, Rohrbrüche: Wenn das in Bereichen geschieht, in denen sehr vulnerable Stationen untergebracht sind, Intensivstationen oder ähnliches, kann's dazu führen, dass man akut räumen oder evakuieren muss. Ein unkontrollierter Gasaustritt kann zu einem solchen Ereignis führen. Stromausfälle in Teilbereichen des Krankenhauses können dazu führen, dass diese Bereiche nicht mehr funktionsfähig sind und verlassen werden müssen.
Oder auch – je nach Region relativ häufig – Bombenfunde, die dann in enger Abstimmung mit Kampfmittelräumdienst und den öffentlichen Behörden ebenfalls zu einer Evakuierung eines Krankenhauses führen können.
Also man sieht, es ist mannigfaltig, ein ganzer Strauß von Ursachen, der zu einer Räumung oder Evakuierung führen kann.

Räumung vs. Evakuierung

Detlef Cwojdzinski:
[2:32] Martin hat das ja eben schon kurz angesprochen gehabt, man spricht ja von Räumung und Evakuierung. Ich erleb's immer wieder noch, dass das auch durcheinandergebracht wird. Kannst du das vielleicht noch mal präzise definieren, was was ist?

Felix Kolibay:
[2:44] Ja, genau, also die werden in der Tat auch sehr häufig synonym gebraucht diese beiden Begriffe. Wobei man eigentlich relativ klar abgrenzen kann und sagen kann: die Räumung ist das Vorgehen bei einem akuten Schadensereignis. Bei einer akuten Gefahr, wo Leib und Leben von Personen bedroht ist, müssen dann die Betroffenen aufgrund dieser akuten Gefahr möglichst schnell in Sicherheit gebracht werden.
Im Unterschied dazu ist die Evakuierung eigentlich ein etwas länger geplantes Verfahren, was etwas strukturierter vor sich geht und was dann längerfristige Maßnahmen nach sich zieht.
Also die Evakuierung ist eine, in der Regel nicht ganz so zeitkritische Maßnahme, bei der man eben die erforderlichen Maßnahmen dann noch mit etwas Ruhe planen kann, während die Räumung, bedingt durch eine akute Gefahr, dazu führt, dass Betroffene ganz schnell zeitkritisch in Sicherheit gebracht werden müssen.

Evakuierung – Vorbereitenden Maßnahmen

Martin Weber:
[3:40] Ja. Du hast ja jetzt gesagt, bei einer Evakuierung hat man durchaus ein bisschen mehr Zeit. Was sind denn jetzt die vorbereitenden Maßnahmen, die für so eine Evakuierung zu treffen sind?

Felix Kolibay:
[3:50] Wenn ich einen Bereich habe meines Krankenhauses, der evakuiert werden muss – nehmen wir mal die, was mir jetzt gerade am ehesten in den Sinn kommt, die Bombenlage – und es ist ein Kampfmittel gefunden worden bei uns auf dem Campus der Uniklinik, dann muss festgelegt werden, welche Bereiche betroffen sind. Das ist vollkommen klar. Das steht mal an erster Stelle.
Dann muss ich feststellen und in Erfahrung bringen, wie viele Patienten habe ich denn in den jeweiligen betroffenen Bereichen aktuell liegen? Wie ist der Status der Patienten? Also sind die gehfähig oder müssen die transportiert werden? Wenn sie transportiert werden müssen, müssen sie liegend transportiert werden oder können sie sitzend transportiert werden? Welche Patienten sind aber eventuell vielleicht auch schon so stabil, dass sie vorzeitig entlassen werden können, damit sie von den ganzen Evakuierungsmaßnahmen gar nicht betroffen sind? Weiterhin muss man in einem solchen Szenario dann natürlich die geplanten Behandlungen absagen und verschieben.
Wenn Patienten verlegt werden müssen in andere Krankenhäuser, sollte im Vorhinein eine Abstimmung mit den aufnehmenden Krankenhäusern oder Einheiten stattfinden. Das ist in jedem Fall von Vorteil. Ich muss sicherstellen, dass die Patientendokumentation komplett vorhanden ist, in einem solchen Ausmaß, dass die aufnehmende Einheit dann auch die wesentlichen Informationen hat. Mit der Feuerwehr und den Rettungsdiensten muss ich gemeinsam überlegen, was werden für Transportkapazitäten gebraucht? Das hängt eben wieder von der Patientenzahl, wie eben erwähnt, ab.
Dann nicht zu vergessen: nicht nur über die Presse nach Außen informieren. Das ist zwar ein Punkt, aber das Wichtigste ist auch, dass man frühzeitig intern die eigenen Beschäftigten informiert: Das und das Ereignis hat stattgefunden, die und die Bereiche sind betroffen, für die anderen Bereiche besteht keine Gefahr. Und dann natürlich die Information der Öffentlichkeit über die Presse und auch die Information natürlich der betroffenen Patienten und deren Angehöriger.

Räumung – Maßnahmen

Detlef Cwojdzinski:
[5:51] Felix, ich habe jetzt so von manchen Praxisberichten auch gehört, die sagten: „Eine Räumung ist eigentlich viel einfacher – weil da gehe ich spontan ran – als eine Evakuierung. Bei einer Evakuierung muss ich mir doch sehr, sehr viel Arbeit machen, um wirklich alles abzusichern, was dann durchzuführen ist.“ Ist da eine Räumung eventuell sogar in den Maßnahmen einfacher zu handeln?

Felix Kolibay:
[6:13] Sehr guter Punkt, Detlef. Da muss man ganz ehrlich sagen: im Einzelfall kann das so sein, ja, dass die Räumung tatsächlich vom Ablauf her etwas weniger komplex ist, weil ich bei der Evakuierung eben sehr, sehr viel bedenken muss.
Ich muss ja auch immer bei allen Szenarien berücksichtigen: das Verhältnis. Das Risiko einerseits durch das Schadensereignis selber: also, ist der Patient jetzt wirklich gefährdet durch das Schadensereignis? Und dem gegenüber muss ich dann natürlich das Transportrisiko des Patienten stellen.
In einer Räumungssituation habe ich, um auf eine akute Gefahrenlage zu reagieren in einem bestimmten Bereich – wie beispielsweise auf einen Brand – die Möglichkeit auf der gleichen Ebene horizontal in den nächsten festgelegten Brandabschnitt meine Patienten zu transportieren. Auch die Patienten, die nicht fußläufig sind, die kann man mit dem Bett in den nächsten Brandabschnitt transportieren. Dann muss ich überlegen: ist die Etage an sich dann sicher oder besteht auch noch die Notwendigkeit weiter in die vertikale zu gehen? Also Patienten dann von dem betroffenen Stockwerk im Rahmen dieser Räumung dann auf andere Stockwerke zu verbringen? Dann habe ich schon das Problem, da muss ich dann überlegen: wie kriege ich die durch die Treppenhäuser? Auch das muss ich im Vorhinein festgelegt haben. Und bei der Räumung muss ich mir natürlich akut Personal und Hilfskräfte suchen – von benachbarten Stationen im Idealfall – die bei der Verbringung der Patienten aus der Gefahrensituation und aus der Gefahrenlage behilflich sein können.
Ein wesentlicher Unterschied in diesem Zusammenhang ist noch, da eine Räumung ja aufgrund einer akuten Gefahrenlage notwendig wird – ich habe jetzt eben den Brand als Beispiel benutzt – ist natürlich die oberste Prämisse auch in einem solchen Szenario Sicherheit und Eigenschutz der Beschäftigten. Das heißt, muss man den Leuten immer wieder sagen: Bitte nicht heldenhaft in ein Szenario reinstürzen und selber riskieren, dass man durch zwei bis drei tiefe Atemzüge mit Rauchgas dann bewusstlos wird oder gar noch schlimmere Folgen erleidet, sondern immer an den Eigenschutz denken. Das ist ein ganz, ganz wesentlicher Punkt.

Vorbereitungen

Martin Weber:
[8:24] Eigenschutz, ganz wichtiges Thema natürlich. Was kann man jetzt vorbereiten, um auf ein solches Szenario gut vorbereitet zu sein? Mit wem sollte ich vor allem in diesen Vorbereitungen zusammenarbeiten?

Felix Kolibay:
[8:37] Der erste Punkt der Vorbereitung, das wichtigste, ist, das Personal auf solche Ereignisse gedanklich vorzubereiten und zumindest grundlegende Dinge zu schulen. Zumindest, dass man ein sogenanntes Mindset hat, dass sich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst sind, dass solche Szenarien eben tatsächlich auch im Krankenhaus stattfinden können und im Idealfall solche Szenarien auch beüben. Da kann man im kleineren Rahmen von Stationen kleine Evakuierungsübungen machen, was schon, nach meiner Erfahrung, enorm hilfreich ist, weil eben die Leute sich dann, auch mit diesen Problematiken auseinandersetzen.
Zusammenarbeit ist natürlich ganz essenziell mit den Behörden der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Polizei, aber vor allen Dingen auch Rettungsdienst und Feuerwehr. Gerade die Feuerwehr muss bestimmte besondere lokale Gegebenheiten auch kennen, um in einem Schadensfall dann effizient handeln zu können.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass ich natürlich selber in der Lage sein und meine eigentlichen neuralgischen Bereiche kennen sollte. Und wenn ich sie nicht kenne, sollte ich versuchen sie wirklich zu identifizieren und auch die Empfindlichkeiten dieser besonderen Bereiche kennen. Denn dann kann ich zum Beispiel auch mit entsprechendem Vorlauf mir überlegen: Wenn ich einen extrem neuralgischen Bereich habe und ich weiß, bei mir im Umfeld beispielsweise hat's immer wieder Kampfmittelfunde gegeben, dann ist es durchaus sinnvoll, wenn man eine größere Baumaßnahme auf dem Klinikgelände hat, auch schon im Vorfeld einmal mit den Behörden, mit Feuerwehr, mit Rettungsdienst, gemeinsam auch mit dem Kampfmittelräumdienst, gegebenenfalls schon mal abzustimmen: Was ist denn, wenn wir hier auf dem Baufeld was finden? Wie weit ist denn dann möglicherweise der Radius? Was brauchen wir dann für Transportkapazitäten?
Also je nach Empfindlichkeit bestimmter Bereiche und der Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse ist da eine vorausschauende Planung in meinen Augen extrem wichtig. Und auch durchaus möglich.

Dank & Abschied

Martin Weber:
[10:41] Das hört sich nach einem sehr großen und sehr, sehr komplexen Themenfeld an und bietet jede Menge Querverweise auch zu anderen Podcasts, die wir gemacht haben. Wie beispielsweise zum Schluss, wie du gesagt hast: natürlich auch die Risikoanalyse und dass man gucken muss, wie gefährdet bin ich denn tatsächlich von dieser Fragestellung, dass ich zum Beispiel durch das Auffinden von alten Kampfmitteln aus dem zweiten Weltkrieg eventuell mal ganz, ganz schnell räumen muss?
Felix, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast, ein Dankeschön auch an meine Kollegen, die mich bei der Durchführung und Planung dieses Podcasts unterstützt haben und natürlich an Sie, liebe Zuhörer, für ihr Interesse. Wir hören uns wieder zum nächsten Podcast in dieser Serie und bis dahin wünsche ich Ihnen alles Liebe und Gute. Liebe Kollegen, danke schön. Bis dann, auf Wiedersehen.

Detlef Cwojdzinski:
[11:29] Gerne, Martin. Macht's gut miteinander. Und tschüss.

Felix Kolibay:
[11:32] Danke, tschüss zusammen.

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