Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 13 – Biologische Gefahrenlagen

Gast: Dr. Dietmar Sander, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Katastrophenschutzbeauftragter im Sankt Getrauden-Krankenhaus in Berlin

Pandemien, hochkontagiöse, hochinfektiöse, lebensbedrohliche oder gemeingefährliche Erkrankungen, Bio-Terrorismus oder sonstige Infektionsgeschehen: für die Krankenhäuser ist es relevant sich im Rahmen der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung auf verschiedene biologische Lagen vorzubereiten. Welche organisatorischen und materiellen Vorkehrungen dabei getroffen werden müssen und welche Rolle des Gesundheitsamtes spielt, verrät Dr. Sander in dieser Folge des Podcasts „Krankenhausalarm- und -einsatzplanung“.

Aufnahme am 28. April 2021

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung: Folge 13 – Biologische Gefahrenlagen

Dauer: 22:16 Quelle: BBK / yapola GbR

Textversion des Audio-Beitrags

Intro & Begrüßung

Martin Weber:
[0:05] Willkommen zurück zur 13. Episode unserer Podcastreihe zur Krankenhausalarm- und -einsatzplanung. Heute zum Thema biologische Gefahrenlagen. Dazu begrüße ich ganz herzlich Dr. Dietmar Sander. Er ist Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, sowie Katastrophenschutzbeauftragter am Sankt Gertrauden-Krankenhaus in Berlin. Lieber Dietmar, schön, dass du heute dabei bist.

Dietmar Sander:
[0:27] Ja, danke für die Einladung. Schönen Dank.

Martin Weber:
[0:30] Mit mir zusammen am Mikrofon als Interviewpartner begrüße ich Detlef Cwojdzinksi, der uns als Experte im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz seit vielen Jahren begleitet und eine der prägenden Persönlichkeiten im Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung bundesweit ist. Detlef, danke, dass auch du heute wieder dabei bist.

Detlef Cwojdzinski:
[0:48] Grüß dich herzlich, Martin.

Martin Weber:
[0:49] Mein Name ist, sehr geehrte Zuhörer, Dr. Martin Weber und ich bin an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zuständig für die Ausbildung im Bereich der Krankenhausalarm- und -einsatzplanung.

Vorbereitung

Dietmar, bei biologischen Gefahrenlagen denken wir heutzutage alle zuerst an die COVID-Pandemie – an unsere aktuelle Pandemie. Welche anderen Szenarien kann man denn da noch so mit einbeziehen? Oder andersherum: Auf was müssen wir uns denn bitteschön noch vorbereiten?

Dietmar Sander:
[1:21] Wenn man das kurz zusammenfassen will, sind das eigentlich vier Themenbereiche. Einige scheinen für ein „normales“ Krankenhaus, aus dem ich komme, irgendwie weit weg zu sein. Aber ich möchte an einem Beispiel kurz sagen, wie nah uns dann tatsächlich doch auch so ein Szenario kommen kann.
Da bin ich schon am ersten Punkt, auf den ich hinweisen will: also die hochkontagiösen, hochinfektiösen, lebensbedrohlich oder gemeingefährlichen Erkrankungen. Wenn man dann sagt, zum Beispiel hier in Berlin: Naja, gut – sofort zur Charité Sonderisolierstation, wenn jemand kommt. Erstens kommt der nicht, sondern der wird ja gleich auf die Sonderisolierstation gebracht in die Charité, also letztendlich nicht so ein Thema, was einen prickelnd interessieren muss.
Aus der eigenen Erfahrung kann ich sagen: Nee, ist nicht so. Ebola-Epidemie 2014/2015 stand dann plötzlich bei uns in der Feuerwehreinfahrt ein Rettungswagen der Berliner Feuerwehr. Und da kam die Meldung aus diesem Rettungswagen: „die Patientin dort in dem Wagen könnte Ebola haben“. So jetzt stehst du da! Also ich stand ja erstmal nicht da, sondern das war ja dann der Internist, der dort war. Und was hat der Internist gemacht, als er davon gehört hat? Da hat er gesagt: „Okay, Ebola. Da frage ich dann erstmal den Katastrophenschutzbeauftragten, was wir denn da machen können.“ Insofern ist das also auch konkret für so ein kleines Krankenhaus, wie wir es sind.
[2:44] Und das ist das Entscheidende dazu. Wir können nicht einfach sagen: „Ab ins Virchow, Sonderisolierstation und die sollen sich darum kümmern.“ Wir und jedes Krankenhaus in Deutschland haben die Pflicht zur Erstversorgung von solchen Patienten. Wenn die also vorfahren, muss ich erstmal sagen: „Okay, ist dieser Verdacht überhaupt tragfähig? Und ist diese Patientin jetzt dann erstmal auch weiter transportfähig?“ Das muss ich erstmal sicherstellen.
Und deswegen muss also auch für so ein Szenario absolut ein Ablaufplan in der Klinik bereitliegen. Wie gehe ich damit um? Schutzkleidung. Das hatten wir ja in dem Podcast über die Dekontamination auch schon angesprochen. Da muss man natürlich dann einen hochgradigen Schutz tragen, der nicht so einfach angezogen werden kann. Entsprechende Schulungsmaßnahmen müssen durchgeführt werden und es muss sofort Kontakt aufgenommen werden mit dem Gesundheitsamt, um zu sagen: „Okay, die und die Situation ist hier. Wie haben wir uns zu verhalten?“
Also das erscheint weit weg. Kann aber konkret ganz nah sein und ich kann auch nur wieder aus eigener Erfahrung sagen: noch ehe wir irgendwie Kontakt zum Gesundheitsamt herstellen konnten, war schon der erste Pressemitarbeiter bei uns unten am Empfang, weil nämlich die Situation in Deutschland so war – nachdem in Italien und den USA Ebola-Fälle aufgetreten sind – dass die Frage aufkam: Wann kommt das nach Deutschland? Also bestand auch ein hohes Medieninteresse daran.

Detlef Cwojdzinski:
[4:05] Dietmar, das war jetzt ein Beispiel, ja. Auch sehr plastisch hinterlegt, aber es gibt ja auch noch andere Szenarien, die wir betrachten müssen.

Dietmar Sander:
[4:12] Ja, ich taste mich mal ein bisschen ran von dem, was so ein bisschen weit weg erscheint zu dem, was dann tatsächlich auch konkret wird.
Der nächste Punkt, auf den man auch vorbereitet sein muss, ist der Bioterrorismus. Nach 9/11 in den USA, die Anthrax-Briefchen mit dem weißen Pulver. Oder, auch in den USA, Jahre später, gab's einen Salmonellen Anschlag auf Restaurants. Also auch dadurch können dann plötzlich Patienten in der Rettungsstelle aufschlagen.
Konkreter wird's dann, wenn man die sonstigen Infektionsgeschehen nimmt, wie das Norovirus, die Salmonellen. Da ist es jetzt dann wieder wichtig zu sehen: Wann ist es ein Einzelfall? Und wann ist es ein Massenanfall?
Und dann natürlich der Klassiker in der Phase, in der wir uns ja jetzt aktuell befinden, ist einfach die Pandemie. Das sind die vier großen Dinge, auf die sich ein Krankenhaus vorbereiten muss.

Martin Weber:
[5:04] Und dann natürlich das Alltagsgeschäft, in dem die immer weiter zunehmenden multiresistenten Erreger – die vor allen Dingen natürlich auf den internistischen Stationen zunehmen – auch zum Problemfall werden, richtig?

Dietmar Sander:
[5:16] Ja, absolut. Das würde ich jetzt unter sonstiges Infektionsgeschehen packen. Da sollte ja jedes Krankenhaus und hat es auch – nicht sollte, sondern hat es natürlich auch – die entsprechenden Hygienepläne bereitliegen haben, wie gerade mit dem multiresistenten Erreger dann im konkreten Fall umgegangen werden muss.

Gefahrenlage erkennen

Detlef Cwojdzinski:
[5:34] Die biologische Gefahr zeigt sich ja zunächst nicht so direkt. Wie kann ich denn in der Notaufnahme erkennen, dass ich's tatsächlich mit so einem Szenario zu tun habe?

Dietmar Sander:
[5:44] Ja, das ist eine gute Frage. Da ist es auch wieder nur Schulung und Sensibilisierung. Das ist das Stichwort – wie dasja so oft genannt wird. Weil es gerade bei der biologischen Lage ja keine eindeutigen Kriterien gibt.
Also wenn der Unterschenkel gebrochen ist, ist er gebrochen und dann steht meist auch eine klare Therapie dahinter. Aber der medizinische Faktor im Rahmen von Infektionskrankheiten von Seuchengeschehen ist genauso flexibel in seiner Ausdehnung, wie die epidemiologischen Faktoren. Das ist also alles sehr unscharf und, was ja auch zu beachten ist: Wenn ich einen Einzelfall habe, reagiere ich ganz anders da drauf, als wenn ich einen Seuchenanfall habe.
Wichtig ist immer: Symptome, Anamnese, unklares Fieber, plötzlich schwerste Krankheitszustände mit Organversagen innerhalb von Stunden. Das sind alles so Hinweise, die darauf deuten, dass ein Infektionsgeschehen als Ursache in Frage kommt. Die Anamnese zum Beispiel zu Ebola: Reisegebiete, wo solche Geschehen bekannt sind. Ist Kontakt dort gewesen? In welcher Zeit? Die Inkubationszeit ein ganz wichtiger Faktor und die Falldefinition.
Das ist immer, wenn das RKI – das Robert-Koch-Institut – und seine Veröffentlichungen, eine segensreiche Einrichtung: viele Informationen, ganz wichtiges Tool in der ganzen Sache. Wenn eine Falldefinition existiert, dann hat man eigentlich einen klaren Masterplan, nach dem man sich verhalten kann und der muss natürlich dann auch entsprechend geschult werden, verbreitet werden und erläutert werden, im Rahmen des Krankenhauses.
Auch wieder ein Beispiel aus dem Jahre 2011: die EHEC-Epidemie, also vom enterohämorrhagischen Escherichia Coli, in Norddeutschland ist letztendlich dann nur richtig aufgepoppt, weil Intensivmedizinern in Hamburg aufgefallen ist, dass ein alltägliches Krankheitsbild, was zwar nicht jeden Tag, aber durchaus auch zum normalen Krankheitsgeschehen gehört – nämlich das hämolytisch-urämische Syndrom – plötzlich gehäuft in einer Nachtschicht aufgetreten ist. Und nur diese Aufmerksamkeit dieser Leute hat dann dazu geführt, dass Meldungen ans Gesundheitsamt gegeben wurden und dass dann in der Folge dann das RKI aktiv geworden ist.
Also, ganz wichtig: Sensibilisierung, Aufmerksamkeit und die Kommunikation, um dann die entsprechenden Erkenntnisse auch weiterzugehen.

Martin Weber:
[8:00] Ich kann das nur absolut unterstreichen, was du hier gesagt hast. Ich war selber einmal im Rettungsdienst, als ersteintreffendes Rettungsmittel damals in München mit einem Fall konfrontiert, wo wir hinterher mit einem Verdachtsfall auf einen Lassa-Patienten in eine Sonderisolierstation gefahren sind – und angekündigt war das Ganze als unmittelbares Nasenbluten. Also man braucht einfach die Sensibilisierung und ein Stück weit ist es dann halt auch das Jucken im Genick, das Bauchgefühl, was einen Diagnostiker dazu bringt zu sagen, was man denn hier hat und in welche Richtung man abbiegen sollte und in welche Richtung das Ganze geht. Und dann lieber noch einmal zu viel, als einmal zu wenig, oder?

Dietmar Sander:
[8:40] Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig, völlig klar. Aber das macht die ganze Sache so kompliziert, weil's so klare Marker eben nicht gibt und auch nie geben wird.

Organisatorische Vorbereitung

Martin Weber:
[8:48] Wie sieht's denn jetzt mit den organisatorischen Maßnahmen auf Seiten des Krankenhauses aus? Wie kann man sich darauf vorbereiten? Und was ist das, wo du meinst, das sollte als Minimum einfach vorbereitet sein? Das sollte man als Vorbereitungen treffen?

Dietmar Sander:
[9:03] Auch da kann ich wieder nur verweisen auf unseren Podcast über Dekontamination. Da war ja auch das Wichtigste in den Vorbereitungen: Ich muss den Mitarbeiter schützen. Ja, das ist also das A und O. Alles andere nutzt nix. Du musst als erstes dafür sorgen, dass der Mitarbeiter geschützt ist und das hängt natürlich dann von dem Szenario ab, welchen Grad der persönlichen Schutzausrüstung ich vorhalten muss. Das sieht anders aus, wenn man mit einfachen Erregern umgeht oder mit hochinfektiösen. Das geht also von dem einfachen Mund-Nasen-Schutz mit Visier, Kopfhaube, Handschuhen und Schutzkittel bis zum Vollgebläseschutz. Und da ist dann wieder wichtig, auch im Dekon-Podcast ja schon erwähnt: die Bildung von einem Kompetenzteam. Dass eben verantwortungsvoll mit dieser Schutzausrüstung umgegangen wird und jeder, der dann in der Schutzausrüstung arbeitet, weiß: „Ich bin geschützt. Mir kann nichts passieren.“
Ich muss natürlich vor Ort, zum Beispiel in der Notaufnahme, einen Raum haben, wenn tatsächlich ein Patient kommt, angekündigt, oder man ein Bauchgefühl hat „da könnte eine Infektion eine Rolle spielen“, dass man da einen klaren Plan hat in der Erstversorgung: in welchem Raum findet das statt? Mit welchen Schutzmaßnahmen? Übrigens auch ganz wichtig in der Sache dann: Klimatechnik. Also die darf man auch nicht vergessen.
Und die Nachbereitung: Wenn dann also was stattgefunden hat, braucht man auch ein ganz bestimmtes Szenario, wie ich dann diesen Raum wiederaufbereiten muss, damit er dann wieder in die normale Funktion übergehen kann.
Also auch hier sind Schulungsmaßnahmen ganz, ganz, ganz wichtig. Und den klaren Weg, den klaren Algorithmus, die klaren Anweisungen, wie was dann vorzunehmen ist.

Materielle Vorbereitung

Detlef Cwojdzinski:
[10:43] Die Pandemie hat ja auch nochmal gezeigt, dass man materielle Vorsorge in ganz erheblichem Umfang brauchte. Das wird sich zukünftig hier vielleicht ändern, wenn's eine nationale Reserve geben wird. Aber materielle Vorsorge braucht es natürlich in jedem Fall. Wie siehst du das? Was ist da zwingend zu tun, um vorbereitet zu sein?

Dietmar Sander:
[11:02] Ja, das ist ein ganz, ganz, ganz schwieriges Thema. Wir müssen einmal unterscheiden: Haben wir einen Einzelfall? Dann wird die Lagerhaltung, die im Krankenhaus ist, immer ausreichen, um den Einzelfall dann zu bewältigen. Aber wenn ich merke, es wird mehr – und jetzt gerade nun auch in der Pandemie – das hat ja, glaube ich, jedes Krankenhaus in Deutschland gemerkt, ist es dann mit der Vorsorge, welches Material da ist, schwierig und da kommt man sehr schnell an die Grenzen.
Das ist natürlich auch ein ganz normales betriebswirtschaftliches Thema. Je mehr Lagerhaltung, je mehr Vorhaltung ich mache, desto mehr Geld kostet es, weil da sind ja dann Materialien, die man so für den Alltag ja gar nicht braucht. Und das ist das Problem, dass man da den richtigen Weg findet, dort ein Gleichgewicht zu finden.
[11:54] Wenn man jetzt die Pandemie sieht, machst du die Materialvorhaltung, wenn du sagst, „Okay, ich muss jetzt eine Station umwidmen, damit die dann zur Isolierstation wird.“ Du hast das Isolierzimmer einer ZNA. Das ist erstmal so kein Problem.
Nur wenn es dann dazu kommt, wie jetzt ganz konkret bei SARS-CoV-2, wenn ich sage: „Der Symptombeginn bedeutet nicht Infektiosität“, sondern die Infektiosität besteht schon Tage vorher, ohne dass der Patient irgendwelche Symptome hat. Und außerdem jetzt bei SARS-CoV-2 findet die Replikation des Virus im Nasen-Rachen-Raum statt und nicht mehr wie bei SARS-CoV-1 tief in der Lunge. Das heißt es ist jetzt noch infektiöser, das Material kann noch leichter ausgebracht werden. Dann ist ja der Patient selber ja nicht nur die Gefahr, der vermeintlich kommt mit Symptomen wie SARS-CoV-2 oder COVID-19 als Erkrankung, sondern auch der Kollege selber und der allfällige Patient, der ins Krankenhaus kommt.
Das heißt, ich muss ja dann den Schutz auf die ganzen Mitarbeiter ausbreiten und dann – und das hat ja jeder erlebt – da gerät man ganz schnell an seine Grenzen und man muss jonglieren zwischen dem, was ich aktuell zur Verfügung habe. Was kommt eventuell rein und welchen Schutz muss ich den Mitarbeitern bieten? Und welchen Schutz kann ich den Mitarbeitern dann nicht nur für eine Woche bieten, sondern auch länger hinaus?
[13:14] Und dieses alles zu regeln, das ist – noch wieder ein ganz anderes Thema – aber das ist dann wieder ganz essentiell. In einer solchen Lage brauchst du eine Führungsstruktur, du brauchst die Krankenhauseinsatzleitung, weil das alles Themen sind und Entscheidungen, die getroffen werden müssen, die auf breiter Basis geschehen müssen und nicht als Einzelfall dann dem Leiter der Rettungsstelle oder, wie auch immer, dem Katastrophenschutzbeauftragten anheimgestellt werden können. Denn das ist ja eine ganz sensible Sache, wenn es darum geht, dass du eine ganz knappe Ressource hast – und wie setze ich die ein, um den Mitarbeiter zu schützen?

Rolle des Gesundheitsamtes

Martin Weber:
[13:49] Die Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung war ja vor allen Dingen in der aktuellen Pandemie zu Anfang ein ganz, ganz heißes Thema. Wie sieht es denn mit der Rolle des Gesundheitsamtes bei solchen biologischen Gefahrenlagen aus? Welche Erfahrungen habt ihr oder hast du damit gemacht?

Dietmar Sander:
[14:04] Überragend. Eine überragende Bedeutung. Und da ist es ganz wichtig, dass man schon in normalen Zeiten eine Verbindung zum Gesundheitsamt aufbaut, dass man die Verbindung hat und man sich kennt, zwischen dem Hygienearzt, zwischen dem Katastrophenschutzbeauftragten zwischen der ärztlichen Direktion und dem Gesundheitsamt – dass man die Player dort kennt, dass die vom Gesundheitsamt die Player im Krankenhaus kennen. Das ist ganz, ganz wichtig.
Also wenn man das auf das Infektionsschutzgesetz richtig runterbricht, hat ja in einer solchen Lage, in einer biologischen Gefahrenlage, erstmal das Gesundheitsamt absolut das Sagen. Und deswegen: Wenn man vorher schon eine gute Kommunikation hat, ist es dann in einer solchen Krisensituation umso einfacher, dass man da einen Austausch findet. Und wenn man den Verdacht auf einen nosokomialen Ausbruch, von was auch immer im Krankenhaus hat, dann ist es unheimlich wichtig, nicht nur seiner Meldepflicht nachzukommen, sondern proaktiv auf das Gesundheitsamt zuzugehen und zu sagen: „Wir haben hier ein Problem. Wie können wir das zusammen lösen?“
Sich aber zu sagen,„Okay, ich verlasse mich jetzt grundsätzlich auf das Gesundheitsamt“ wäre auch nicht der richtige Weg, denn das hat auch die Pandemie jetzt gezeigt: die Manpower der Gesundheitsämter ist absolut begrenzt und die kommen dann auch ganz schnell an ihre Leistungsgrenze. Deswegen müssen im Krankenhaus, auch wenn es um nosokomiale Ausbrüche geht, die Eindämmungsmaßnahmen, die Kontaktnachverfolgung, alles in Eigenregie übernommen werden. Natürlich mit einer Korrespondenz, mit einer Informationsübermittlung an das Gesundheitsamt. Aber das müssen im Eigeninteresse des Krankenhauses dann auch die entsprechenden Organisationsformen selber übernehmen.

Zentrale Aufgaben in der Pandemie

Detlef Cwojdzinski:
[15:44] Ja Dietmar, die Pandemie wollen wir in diesem Podcast natürlich nicht ausblenden. Wir können damit sicher auch einen eigenen Podcast füllen, aber jetzt mal kurz zusammengefasst: welche Punkte sind denn jetzt für dich von zentraler Bedeutung gewesen, um die Situation zu bewältigen? Kannst du so ein paar Schlaglichter jetzt einfach mal stichpunktartig benennen?

Dietmar Sander:
[16:03] Ja, da schwirrt's natürlich gleich im Kopf, weil das so viel ist, was in diesem über einem Jahr passiert ist. Aber wenn man das mal so auf ein paar Punkte wirklich runterbricht, wenn ich sage: „Ohne das wär's nie gelaufen, hätten wir es nie geschafft“ – das ist das wirklich die Führungsstruktur. Also du musst eine Stabsbildung haben, anders geht es nicht. Da muss die Geschäftsführung zusammenarbeiten mit der Hygiene, mit der ärztlichen Direktion. Der Intensivmediziner muss da sein, die Pflege, Technik, Lager, der Katastrophenschutzbeauftragte. Wir haben uns in der Anfangsphase täglich manchmal sogar zweimal getroffen. Und auch jetzt noch gibt es einmal wöchentlich einen Jour Fixe. Ein permanentes Nachsteuern, permanentes Justieren, immer neue Probleme, immer neue Anforderungen, die auch gestellt werden. Ohne Stabsbildung geht es gar nicht.
[16:49] Und es geht auch nicht ohne die Belegschaft. Die muss man von Anfang an mitnehmen und das ist dann auch wieder ein ganz sensibles Thema: die Informationsweitergabe. Es nutzt nichts, jede Information sofort weiterzugeben, die Belegschaft mit Informationen zu überschütten und so weiter. Auch das muss alles sehr wohldosiert sein, damit das dann immer noch auch die nötige Aufmerksamkeit erregt. Und wenn wir mal zurückdenken an Januar vor einem Jahr: Was wurde uns da alles erzählt? Womit das zu tun haben kann und so weiter. Die ganzen Erkenntnisse, die dann gekommen sind und die ganzen Entwicklungen. Das waren ja teilweise dann 180 Grad Kehrungen und das muss immer wieder verarbeitet werden.
Deswegen Stabsstruktur: eminent wichtig. Persönliche Schutzausrüstung: muss man ein Auge drauf haben. Zu Anfang hatten wir sie kaum. Dann: Wann kommt sie? Wer liefert sie? Dann war die Frage: Welche Qualität hat sie überhaupt? Es war eigentlich permanent ein Management der knappen Ressourcen, die eingesetzt werden müssen.
Der Normalbetrieb, der gelaufen ist: Wie kann ich den weiterführen? In welchem Maße? Wie muss ich ihn einschränken? Da kommen ja die Intensivkapazitäten, Ausfälle von Personal, Verschiebungen und so weiter und so fort, sodass bestimmte Dinge dann nicht mehr durchgeführt werden können. Also man braucht Priorisierungen von den Eingriffen, wo man sagt: „Das ist rein elektiv, die kann ich absagen. Den muss ich absagen. Das steht im Moment nicht an.“ Oder andere dringliche Operationen, die ich eben nicht absagen kann. Da muss man ein Schema haben, nach dem man dann handelt.
Das Gleiche gilt auch – und wir sind nie in die Situation gekommen – andere Intensivstationen und Krankenhäuser in Deutschland sehr wohl, aber wir hier im GertraudenKrankenhaus und auch in Berlin hatten das zum Glück noch nicht, dass wir akut die Behandlung priorisieren mussten von den Notfallpatienten, die gekommen sind. Aber auch da braucht man ein Konzept dafür, nach dem man handeln kann und das entsprechend auch organisiert hinterlegt ist und auch abgesprochen ist mit allen Playern, die dafür in Frage kommen.
Normalbetrieb, hatte ich gesagt, wenn er jetzt wieder an den Start gehen soll oder gegangen ist: Wie teste ich jetzt die Patienten? Wie teste ich die Mitarbeiter? Die Infrastruktur muss ich dafür schaffen und last-but-not-least ist jetzt die Impfkampagne ein ganz großes Thema, wo ja auch immer wieder neue Aspekte kommen – AstraZeneca: Wann kann verimpft werden, wann nicht? Wie sieht's mit der Zweitimpfung auf? Alles Probleme, die immer neu dazukommen und auch gelöst werden können. Aber überlebenswichtig ist die Stabsstruktur. Und das Management eines Ausbruchs, dass man da Organisationsstrukturen im Krankenhaus geschaffen hat:
[19:34] Kontaktnachverfolgung, Eindämmung, Unterbrechung der Infektionsketten im Krankenhaus. Das ist so eine Lehre. Da haben wir eine Struktur gehabt, auf die wir uns jetzt hundertprozentig verlassen können und wo wir das Ganze im Griff haben. Und wenn wir das nicht gehabt hätten, dann hätte es auch böse für die uns anvertrauten Patienten und für das Krankenhaus selber ausgehen können. So konnten wir das mit den entsprechenden Rechercheteams, mit der kontrollierten Nachverfolgung, mit Dokumentationsformen, EDV-gestützt und so weiter, in den Griff kriegen und sind deswegen bisher relativ heil durch diese Pandemie geschwommen.

Weg

Detlef Cwojdzinski:

[20:11] Dietmar, da habe ich aber jetzt noch eine Frage zum Schluss. Du bist ja nun Chefarzt in einer Abteilung für Unfallchirurgie. Wie kommt denn so jemand dazu sich jetzt mit biologischen Gefahrenlagen zu beschäftigen? Du bist ja ein richtiger Insider jetzt geworden. Bist das durch die Pandemie geworden oder warst das schon vorher?

Dietmar Sander:
[20:29] Na, das war schon vorher so. Also das wächst ja in einen so rein und je mehr die Anforderungen auch von außen an das Krankenhaus gestellt werden, desto mehr muss man sich als Katastrophenschutzbeauftragter ja mit den verschiedensten Themen dann auch befassen.
Und wenn du fragst, wie ich Katastrophenschutzbeauftragter geworden bin, kann ich's dann auch sagen – eine Geschichte, die ich auch immer wieder gerne erzähle, weil ich die erste Katastrophenübung im Sankt Gertrauden-Krankenhaus erstmal persönlich richtig in den Sand gesetzt habe, weil ich einfach die Alarmierungskette nicht richtig ausgelöst habe, dieser Mangel erkannt wurde und gesagt wurde: „Jetzt muss sich aber einer richtig darum kümmern. Wer war denn bei dem Alarm dabei und so weiter? Da war ja der Sander dabei. Also Sander, kümmern Sie sich jetzt mal da drum.“ Das war 1997 und seitdem bin ich dabei.
Und jetzt in der konkreten Situation ist es halt so, dass Du ja dann als Katastrophenschutzbeauftragter der Ansprechpartner bist für viele im Krankenhaus, die dann mit Fragen auf dich zukommen und ich nun so einer bin, der sagt: „Ich möchte dann auch jeder Frage irgendwie gerecht werden“ und insofern baut man sich dann automatisch das entsprechende Knowhow auf.

Detlef Cwojdzinski:
[21:32] Also jeden Abend vor dem Zubettgehen schaust du dir die RKI-Seiten an, ob's was Neues gibt?

Dietmar Sander:
[21:36] Na, aber nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen – zweimal am Tag selbstverständlich. (lacht)

Dank und Abschied

Martin Weber:
[21:42] Ja Dietmar, dann wieder ein ganz herzliches Dankeschön dafür, dass du dir die Zeit genommen hast und uns so kompetent beraten hast und uns an deinen vielfältigen Erfahrungen hast teilhaben lassen.

Dietmar Sander:
[21:53] Ja gerne.

Martin Weber:
[21:54] Lieber Detlef, liebe Kollegen, danke für eure Unterstützung bei der Aufnahme dieses Podcasts und bei der Vorbereitung. Und an Sie, liebe Zuhörer, herzlichen Dank für Ihr Interesse. Wir hören uns wieder zum nächsten Podcast aus dieser Serie. Bleiben Sie gesund und alles Gute weiterhin. Bis dahin, tschüss, adieu.

Detlef Cwojdzinski:
[22:11] Tschüss an alle.

Podcast Krankenhausalarm- und -einsatzplanung


Übersicht